Leitartikel: Herbert Lackner

Herbert Lackner Zwischen Klagenfurt und Mauritius

Zwischen Klagenfurt und Mauritius

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Man könnte meinen, dass der Regierungschef eines am Rande der Pleite schlingernden Bundeslands keinen ruhigen Tag durchlebt. Wie soll einer gut schlafen, dessen Land für eine Summe haftet, die das Neunfache eines Jahresbudgets ausmacht? Einer, dem sogar hauseigene Berechnungen bescheinigen, die Probleme würden selbst ohne Kollaps der Landesbank bald unbeherrschbar? Unerträglich schwer muss die Verantwortung auf den Schultern dieses Mannes lasten. Und weit und breit niemand, der einen Weg aus dem Schlamassel weisen könnte.

Aber Gerhard Dörfler, Landeshauptmann von Kärnten, ist höchst fidel. Gut gelaunt und ausgeschlafen kam er vergangenen Donnerstag ins altehrwürdige Wiener Hotel Sacher, um einer verblüfften Journalistenschar ausführlich zu erklären, warum auf der Ortstafel von Bleiberg nicht auch noch Pliberk stehen dürfe und weshalb nun sogleich ein Verfassungsgesetz zu beschließen sei, um dies ein für alle Mal festzuschreiben. Und die Finanzen? Und die Bank? Ach ja, man werde jetzt halt ein wenig sparen müssen, meinte der Landeshauptmann, und die Hypo-Krise werde doch von anderen Banken „bewusst geschürt“, damit sie im Windschatten der Hypo-Rettung ganz unauffällig selbst eine zweite Hilfstranche in Anspruch nehmen könnten.

Schamlos ist solche Politik, die mit der Dummheit des Publikums spekuliert; die sich unverschämt ihrer Bank bedient, solange die Geschäfte laufen, und sie anderen umhängen will, wenn sie Verluste baut.

Aber Politik, der nichts peinlich ist, ist kein Kärntner Monopol. Wer erinnert sich nicht der als „Brief“ getarnten Unterwerfungserklärung des damals designierten SPÖ-Obmanns Faymann an den Herausgeber der „Kronen Zeitung“? Wer hätte die ungeniert destruktive, nur auf Scheitern angelegte Politik der ÖVP in der Regierung Gusenbauer/Molterer vergessen? Oder am Beispiel der vergangenen Woche: Da philosophiert die Koalitionsmehrheit jahrelang über den Ausbau der Minderheitenrechte, rühmt sich nobler Selbstlosigkeit – verweigert dann aber der Opposition im Untersuchungsausschuss zentrale Zeugen und dreht ihn schließlich ganz ab. Umgekehrt erhebt die Opposition im Ausschuss unter dem Schutz der parlamentarischen Immunität und bar jeden Beweises aberwitzige Beschuldigungen gegen eingeschüchterte Zeugen, für die jeder Privatmann wegen Beleidigung, Rufmord und Kreditschädigung zu donnernden Geldstrafen verurteilt würde.

Politik der Schamlosigkeit, allenthalben. Das Mediensystem hält beim Verfall der Sitten ehrgeizig mit. Es bedürfte gar nicht des traurigen Beispiels jener österreichischen Privat-TV-Station, die geil mit der Kamera draufhält, wenn sich ein 77-jähriger Bauunternehmer Woche für Woche mit seiner Menagerie von Mausis, Hasis und Bambis zum Affen macht. Man muss auch nicht unbedingt auf die USA verweisen, wo soeben ein auf die Seite gesprungener Golfstar vom Boulevard gehetzt wird, indem man jede drittklassige Stripperin aus den Suburbs von Los Angeles blanko vom „Tiger Thing“ schwärmen lässt, das Mister Woods in der Hose habe („Er wollte nie ein Kondom benutzen“).

Auch weit harmlosere Fährnisse rufen entsprechende Akteure auf den Plan, etwa der Kurzurlaub von Vizekanzler Josef Pröll auf Mauritius. Schon Tage vorher bearbeitete das diesbezüglich geneigte Tagblatt „Österreich“ hingebungsvoll den Neidkomplex seiner Leser („Drei Restaurants, eigener Golfplatz, Traumstrand. So feudal verleben Josef und Gabi Pröll ihre Flitterwoche“). Noch in der Ankunftshalle trat ein Paparazzo auf den Plan, der die Prölls mit ihren Rollkoffern verfolgte. Wenig später knipste er am Strand. Bildtext in „Österreich“: „Hier liegt Gabi Pröll.“ Tags darauf rügte das Blatt: „Dem Ehepaar Pröll wird einfach kein ungestörter Urlaub gegönnt.“

Der Triumph der Schamlosigkeit ist konsequent in einer Welt, in der alles zu Geld gemacht werden darf. Natürlich interessiert sich das Publikum für Tiger Woods’ Sexgeschichten. Natürlich findet es den Urlaub des Finanzministers unterhaltsamer als seine Budgetrede, und vielleicht bringt sogar der Baumeister mit dem Johannistrieb ein wenig Kurzweil. Stolz schickte „Österreich“ die Top-Ten-Klicks auf der Website des Blattes aus: 24.989-mal wurden die Paparazzo-Bilder der Prölls angeklickt. Rekord an jenem Tag.

Das Publikum will das alles, und es will wohl noch viel mehr. Es würde dem Tiger in die Unterhose und den Prölls ins Bungalowfenster schauen. Kommt das auch demnächst? Muss ein Medium alles tun, bloß weil man es darf? Rechnet sich nur noch Peinlichkeit? Zeitungsherausgeber und Journalistengewerkschaft haben sich vergangene Woche darauf ge­einigt, den vor einigen Jahren aufgelösten Presserat wiederzubeleben – ein Organ der Selbstkontrolle, das Verstöße gegen den Ehrenkodex der Branche feststellen soll. Mag sein, dass dies ein wenig hilft. Gegen die Schamlosigkeit der Politik können nur die Wähler vorgehen.

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