Sven Gächter

Sven Gächter Shades of Gay

Shades of Gay

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Martin Stiglmayr ist ein viel beschäftigter, ideologie­fester Mann – ausgewählten irdischen Versuchungen zwischendurch aber keineswegs abgeneigt, wie er am 18. April 2012 in einem Gastkommentar für die FP-nahe Website unzensuriert.at enthüllte: „Also ich gestehe: Der ,Mohr im Hemd‘ ist eine meiner Leibspeisen. Und ,Negerbrot‘ schmeckt mir auch sehr gut. An eine etwaige Diskriminierung habe ich noch nie gedacht, wenn ich das eine oder das andere gegessen habe.“ Ein bisschen Toleranz muss, bitte schön, sein: Was kann denn der Mohr im Hemd dafür, dass er so heißt? In anderen Fragen jedoch versteht Stiglmayr, Stellvertreter und Büroleiter von Niederösterreichs BZÖ-Chef Ewald Stadler, dezidiert keinen Spaß. In seiner Funktion als Vize-Obmann des Vereins „Väter ohne Rechte“ hielt er am Rande der Regenbogenparade Mitte Juni in Wien eine geradezu alttestamentarische Brandrede wider das Unwesen der Gleichgeschlechtlichkeit. „Wir bringen euch nicht um, wir lassen euch, wie ihr seid – im Unterschied zu manchen islamistischen Ländern: Dort werdet ihr nämlich umgebracht“, dröhnte er zuhanden der Homo-Fraktion: „Aber was ist euer Dank dafür, dass wir euch leben lassen? Euer Dank ist, ihr wollt immer mehr!“ Als Hauptverantwortliche für die fortschreitende Verluderung der Sitten benannte Stiglmayr „eine feige Politik“, „eine feige Kirche“ und nicht zuletzt „willfährige Medien, in die ihr eure Lesben und Schwulen eingeschleust habt und die immer für euch schreiben“. (Längere Auszüge lesen Sie hier)

Geistesverwirrungen dieser grenzlabilen Art wären keine besondere Aufmerksamkeit wert, stünden sie nicht in einem massiv aufgeladenen Spannungsfeld zwischen Fortschritt und Fundamentalismus. Kaum ein Thema sorgt nach wie vor so zuverlässig für öffentliche Erregung wie die Frage nach dem sozialen und politischen Stellenwert homosexueller Lebensformen in einer Gesellschaft. Dass Lesben, Schwule und Transgender im staatsbürgerlichen Sinn ein unabdingbares Recht auf Gleichstellung haben sollten, gilt in der westlichen Hemisphäre zusehends als erstrebenswerter Konsens, der von den vereinten Kräften der Reaktion jedoch umso erbitterter bekämpft wird, je breiter er sich durchzusetzen droht.

Eine Mehrheit der Franzosen befürwortet die Homo-Ehe; trotzdem kam es bei deren Einführung im Frühjahr zu Massenprotesten im ganzen Land. Vergangene Woche kippte der Oberste Gerichtshof in den USA ein Gesetz, das die Gleichstellung von homo- und ­heterosexuellen Ehen ausdrücklich verbot – ein wegweisendes Urteil, obwohl die Homo-Ehe bisher nur in zwölf der insgesamt 50 Bundesstaaten erlaubt ist. In Russland wiederum genießt Homosexualität per se inzwischen den Rang eines gravierenden Straftatbestands; schon öffentliches Händchenhalten wird rigoros geahndet. Von den Unrechtsverhältnissen in islamischen Ländern ist man damit nicht mehr weit entfernt.

Warum überhaupt so viel Aufregung um eine Minderheit, die Lesben und Schwule nun einmal sind und bleiben, ­fragen manche schon ganz entnervt. Ja, warum eigentlich?! Wenn Homosexualität etwa in der russischen Bevölkerung angeblich bestenfalls im niedrigen Promillebereich nachweisbar ist, weshalb muss Präsident Putin die überwältigende Mehrheit dann so unerbittlich davor schützen? Und sind rechtschaffen frömmelnde Tea-Party-Familien im Mittleren Westen in ihrer Existenzberechtigung ernsthaft bedroht, nur weil zwei lesbische Frauen in Sacramento oder zwei schwule Männer in Washington, D. C. ihre Beziehung standesamtlich beglaubigen wollen?

Der offizielle Umgang einer aufgeklärten Gesellschaft mit Homosexualität hat – weit über demografische Verhältnismäßigkeiten hinaus – eine eminent symptomatische Bedeutung, denn es geht dabei um zentrale Fragen der Demokratie: den Schutz von Minderheiten, die Freiheit des Individuums und das Prinzip der Rechtsgleichheit. Diese Ansprüche werden den Angehörigen der Lebensform LGBT (englisch für Lesbian, Gay, Bisexual und Trans) bis heute weltweit in unterschiedlich starkem Ausmaß verweigert, wogegen sie sich in unterschiedlich offener Form zur Wehr setzen, mit unterschiedlich spürbarem Erfolg. Und solange es beispielsweise in Österreich noch Fanatiker gibt, die für ihr Leben gern „Negerbrot“ essen, Lesben und Schwule aber allen Ernstes auf „naturwidrige Gelüste“ (Martin Stiglmayr) reduzieren, wird die lästige Minderheit auch partout keine Ruhe geben.

So klein ist sie im Übrigen gar nicht. Selbst wenn man die Homosexualitätsquote sehr zurückhaltend mit zwei Prozent veranschlagt, ergibt das, in Relation zur aktuellen Weltbevölkerung, rund 140 Millionen Menschen – was, ganz nebenbei, der Einwohnerzahl Russlands entspricht.

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