Karenzvertretung

Cinematische Sprachspiele

Synchrondeutsche Fakes und die subtile Macht massenmedialer Manipulation.

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In mir schlummert schon lange ein nahezu jihadistischer Hass auf eingedeutschte Filme und TV-Serien. Deswegen war ich es den skandinavischen Ländern auch immer neidig, dass sie so wenig Einwohner haben, dass sich dort nie eine Synchronindustrie bilden konnte. Es wird dort einfach alles untertitelt, und meine pseudostatistische Laienvermutung ist deswegen immer noch: Das ist also der Grund für die bessere englische Aussprache als bei Durchschnittsösis!

Mitschuld an meinem Dubbing-Skeptizismus hatte auch mein Freund, der Medienforscher und Tausendsassa (zum Beispiel ehemaliger Vizepräsident des Wiener Sportklubs) Hannes Auinger, der schon vor 20 Jahren als Teil eines Uniprojekts zum Thema recherchierte. Ich war so besessen von der Thematik, dass ich fast mit Robert Stachel von den mascheks eine Theatershow dazu geschrieben hätte: nie passiert, deswegen hier kolumnistisch eingedampft.

Anstatt der originalen Nazis treiben im deutschen „Casablanca“ korrupte Polizisten ihr Unwesen.

Oberflächlich betrachtet mag es einem kaum auffallen, aber die Welt des Kinos ist voller kleiner Fälschungen. Mein Interesse liegt aber nicht in der Analyse der Qualität der Sprache. Da bin ich Purist, und die meisten Wortspiele und Nuancen gehen im Synchronisationsprozess unweigerlich verloren, selbst wenn sie wie bei den „Simpsons“ sehr liebevoll umgesetzt werden. Spannend sind eher Fälschungen des Inhalts. Ein Beispiel aus „Arsen und Spitzenhäubchen“ („Arsenic and Old Lace“, deutsche Synchronbearbeitung 1957) ist die Szene, in der ein Polizist zu seinem jüngeren Kollegen über das Verhalten des verrückten Bruders von Cary Grant spricht. In der deutschen Version wird ein harmloser Witz in eine politische Aussage umgewandelt, indem Roosevelt mit Stalin verglichen wird: politische Abgründe im Dienste der Sensibilität und der Identität des deutschsprachigen Publikums.

Die Geschichte der Sprachfälschung beginnt in der Wirtschaftswunder-Nachkriegszeit. Die Amerikaner hatten ihre eigene Filmindustrie etabliert; quasi die Belohnung Hollywoods für die Propagandadienste während des Krieges. Doch würde die Nachkriegsbevölkerung im deutschsprachigen Raum wirklich gerne Filme sehen, in denen sie ständig als lügnerische, betrügerische, mörderische Fatzken dargestellt werden? Die Lösung war die Weiterentwicklung der Synchronindustrie, die diese Filme dem dominierenden sozialen Standard anpasste. Es waren teils bewusste Bemühungen, die Deutschen als wertvolles Publikum für amerikanische Filme zu gewinnen und zu erhalten. Die Nazi-Offiziere, die in „Casablanca“ eine wichtige Rolle spielten, wurden in der deutschen Fassung des Films, die 1952 in unseren Kinos anlief, komplett herausgeschnitten. Die Figur des Nazi-Offiziers Major Strasser, gespielt von Conrad Veidt, taucht in dieser Version überhaupt nicht auf. Anstatt der Nazis sind es korrupte Polizisten und Glücksspieler, die das Leben der Protagonisten zur Hölle machen.

Obwohl uns diese Praxis heute ungewöhnlich erscheint, ist sie doch ein Spiegelbild der gesellschaftlichen und politischen Realität der jeweiligen Zeit. In einer Folge von „Columbo“ aus den frühen 1970er-Jahren, in der ein ehemaliger KZ-Aufseher als solcher erkannt und erpresst wird, wird der Nazi einfach zum Bankräuber umgedeutet. Die Auseinandersetzung mit solcher kultureller Manipulation bietet einen faszinierenden Einblick in die Verflechtung von Kultur, Politik und Kommerz. Die deutsche Version der „Raumschiff Enterprise“-Serie wurde etwa in den frühen 1970er-Jahren als Kinderserie umgestaltet. Deswegen wird das vulkanische Sexritual, das Mr. Spock in der Folge „Amok Time“ durchleben muss, zum prüden „Weltraumfieber“-Traum. Und die Klingonen nennen Kirk in der „Tribbles“-Episode eine „parfümierte Blutwurst“. So bizarr fällt die Anrede im englischsprachigen „Star Trek“ nicht aus, aber das junge Publikum der BRD kicherte sich garantiert in unendliche Weiten.

Manchmal hatten solche Änderungen eigentümliche Nebeneffekte. Im besten Weihnachtsfilm aller Zeiten, „Stirb langsam“ (1988), ist der Name des Anführers der Terroristen Hans Gruber, und er und seine Gruppe sprechen eine Sprache, die wahrscheinlich als Deutsch bezeichnet werden könnte. In der synchronisierten Version heißt der Oberschurke aber Jack, und meine Vermutung ist, dass die RAF (in dritter Generation) zu dem Zeitpunkt doch noch zu umtriebig war und deutsche Terroristen in Deutschland deswegen eher nicht en vogue waren. Im dritten Teil, „Stirb langsam: Jetzt erst recht“ (1995), wird es deswegen richtig verwirrend. Da kommt ein neuer Fiesling daher, der Bruder eines gewissen Hans Gruber. Da die rachesuchende Verwandtschaft als ehemaliger Offizier der DDR dem westlichen Feindbild zuträglich war, blieb der Charakter des Herrn Gruber in der synchronisierten Version unverändert. Aufmerksame Menschen haben sich damals schon gefragt: Wer ist eigentlich dieser Hans, der da gerächt werden soll? Dazu sag ich nur: „Yippiyayee, du Schweinebacke!“

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.