Kolumne

Die Entropie geht um in Europa

Von Klima, Physik und dem Seufzer der bedrängten Kreatur: Die Erderwärmung als kapitalistisches Symptom.

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Unlängst saß ich in der U4 und verzehrte verstohlen einen Fischmäc. Da belauschte ich ein Gespräch zweier Münchner Touristen. Einem knallte es fast den Bayrhammer raus, so fuchtig war er. Er jammerte von der Klimalüge, vom „Wissen des Marktes“ und schloss sein Argument mit einem Stoßseufzer: „So begrenzt kann niemand leben. Himmel-sakra!“ Ich hab mir das nicht ausgedacht, echt! Ich schwör’s bei meiner Darmflora!

Als ich 2009 AD erstmals Chris Smiths Dokumentarfilm „Collapse“ über den exzentrischen Autor Michael Ruppert gesehen habe, da dachte ich mir: Wenn da auch nur 20 Prozent von dem stimmen, dann sind wir royally fucked. In einem Raum, der wie ein Bunker aussah, erzählte mir Ruppert abendfüllend von seinem Hauptinteresse, dem „Peak Oil“, und machte dabei eine Reihe von endzeitlichen Prognosen. Ich hatte, trotz aller Skepsis, das Gefühl, einen Horrorschocker zu sehen.

Wir reden immer von der Energiekrise und von der Klimakrise, aber die Energie ist keineswegs in der Krise, und das Klima macht halt sein deterministisch-chaotisches Ding. Genauso wie wir alle eigentlich kein wirkliches Problem mit dem Konzept des „Montags“ haben, wir hassen eher die elende Lohnsklaverei. Der arme Montag muss einfach nur dafür herhalten. Genauso sind Energieverknappung und Erderwärmung nur Symptome des berühmt-berüchtigten kapitalistischen Systems, das Mütterchen Erde seit grob 300 Jahren in den Hitzetod fährt.

Kapitalismus ist ein soziales System, und nicht nur eine bestimmte Form der Produktion und Verteilung von Gütern. Das bedeutet, dass er keinesfalls losgelöst von seinen historischen Rahmenbedingungen betrachtet werden kann. Der Kapitalismus entsteht mit der bürgerlichen Gesellschaft, durch sie und in ihr. Aber keineswegs entsteht er als eine natürliche Form menschlichen Zusammenlebens, auch wenn er dies gerne von sich selbst glaubt. Seine Macht und Durchschlagskraft liegt darin, das gesamte Gefüge der sozialen Beziehungen zu infizieren, zu verändern, ja sogar zu inkorporieren. Er kann Mensch und Natur gar nicht anders denken denn als auszubeutende Ressourcen. Das rapide Bevölkerungswachstum und der Wohlstand des letzten Jahrhunderts wurden dadurch ermöglicht, dass wir mit Öl und Gas eine scheinbar unendliche Menge an billiger Energie zur Verfügung hatten und ein paar Menschlein daraus Profit schlagen konnten. Die toten Meereslebewesen von anno dazumal sind aber endlich.

Ein System, dessen Kernelement die Akkumulation ist, lässt sich nicht so einfach geradebiegen.

Es gibt etwa 1,3 Milliarden Autos auf der Welt. Es wird nicht möglich sein, sie alle auch nur mittelfristig durch Elektroautos zu ersetzen; nicht einmal einen Bruchteil von ihnen. In jedem Autoreifen allein stecken etwa 30 Liter Erdöl. Ruppert bemerkt in „Collapse“ fast nebenbei, dass die meisten Farben und Pestizide aus Öl hergestellt werden, und die Dinge des Alltags: von Zahnpasta bis Darth-Vader-Figuren. Und daran, dass unsere industrielle Landwirtschaft auf Düngemittel aus der Erdölproduktion angewiesen ist, ändert auch der Ruf nach Atomkraftwerken nichts. Oliver Stones neuer Dokumentarfilm „Nuclear“ ist ein brennendes Plädoyer für den Einsatz von Atomenergie und schlägt sie als CO2-neutrale Lösung vor. Aber auch er kommt nicht an der Physik vorbei: Ein Atomkraftwerk zu bauen und zu betreiben sowie der Abbau von Uran und die Endlagerung der Abfälle, dazu braucht man einen Haufen Ressourcen und Energie.

Die deutsche Journalistin Ulrike Herrmann schreibt in „Das Ende des Kapitalismus“, dass die Menschheit in den letzten 25 Jahren durch fossile Energie den Meeren die Wärme von 3,6 Milliarden Hiroshima-Bomben zugeführt hat. Das ist natürlich geoökologisch grenzwertig. Herrmanns bescheidene Antwort auf das Problem ist eine Form von ökologischer Kreislaufwirtschaft, ein „grüner Kapitalismus“, in dem eine geschlossene Schleife von Ressourcenverwendung und -regeneration durchgezogen wird. Aber auch so was hat Grenzen, nämlich den unverhandelbaren 2. Hauptsatz der Thermodynamik. (Der ist übrigens, damit auch mal was Positives gesagt wird, der Grund, wieso es keine Zombies geben kann.) Bei einem vollständig umkehrbaren Kreislaufprozess hakt es: Entweder akzeptieren wir Unvollkommenheiten, die zu klassischen linearen Wirtschaftselementen führen, oder wir benötigen enorme Energiemengen für eine vollständige Umkehrbarkeit.

Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen: Ein System, dessen Kernelement die Akkumulation ist, lässt sich nicht so einfach geradebiegen. Das „geldheckende Geld“ stand schon im Zentrum der Marx’schen Kritik, und die Mär vom „guten Kapitalismus“ ist genauso fatal wie die antisemitische Nazi-Doktrin vom „raffenden“ und „schaffenden“ Kapital. Der Philosoph Pierre Charbonnier fordert eine grundlegende Abkehr vom „eigentumsgestützten Produktionismus“ der Moderne. Und ich paraphrasiere die alten Punks: Es ist bizarr, dass sich manche Leute immer noch eher das Ende Welt vorstellen können als die grundlegende Neuverhandlung der globalen Spielregeln.

Und dabei will ich doch nur meinen Fischmäc essen.

Johannes  Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner

Johannes Grenzfurthner ist Gründer des Kunst-Kollektivs monochrom und schreibt als Karenzvertretung von Ingrid Brodnig.