Juncker brachte das Kunststück zustande, Merkel für ein EU-Investitionspaket zu erwärmen

Georg Hoffmann-Ostenhof: Der Zauberer

Der Zauberer

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Interessant, wie unterschiedlich die verschiedenen Regionen Europas auf den europäischen Investmentplan reagieren, den Jean-Claude Juncker vergangene Woche vorgestellt hat. In den deutschsprachigen Ländern wird der EU-Präsident in den Medien vielfach als „Zauberer“ und „Alchemist“ verhöhnt, der in seine „Trickkiste“ greife, um eine „wunderbare Geldvermehrung“ zustande zu bringen. Während ihm die Öffentlichkeit des reichen Nordens also tendenziell die Rolle des ökonomischen Scharlatans zuweist, steht man im Süden Junckers Vorhaben eher positiver gegenüber – bloß sei dieses zu wenig ambitioniert.

Es gehe in die richtige Richtung. Die 315 Milliarden Euro, welche innerhalb von drei Jahren die gefährlich lahmende europäische Wirtschaft neu beleben sollen, seien jedoch zu wenig. So argumentiert der bekannte französische Ökonom Eric Heyer. Da bräuchte es drei Mal so viel, um den von Juncker versprochenen „Kickstart“ hinzulegen. Und dass in den neuen EU-Investitionsfonds kaum frisches Geld, sondern großteils schon im EU-Budget vorhandenes fließen soll, enttäuscht in Ländern wie Frankreich, Italien oder Spanien.

Als Scharlatanerie kann der Juncker-Fonds freilich nicht abgetan werden. Mit dem Einsatz von wenig öffentlichen Finanzen ein Vielfaches an privaten Investitionen zu generieren, ist keine Zauberei. Das ist die Essenz staatlicher Konjunkturprogramme. Der neue, zunächst mit 21 Milliarden Euro alimentierte Investitionsfonds soll nachhaltige und zukunftsträchtige (vor allem die Infrastruktur betreffende) Projekte ausmachen und Unternehmen, die sich bisher scheuen, in die europäische Realwirtschaft zu investieren, einen Teil des Risikos abnehmen. Juncker hofft, auf diese Weise jene Investoren zu locken, die bisher Geld horten oder in Finanzprodukten anlegen, weil sie das Vertrauen in die Zukunft der europäischen Ökonomie verloren haben. Geld ist ja genug da. So kämen dann die 315 Milliarden zusammen. Und was Länder zusätzlich in den Fonds einzahlen, solle fürderhin nicht als Teil jener Schulden gelten, deren Abbau die EU vorschreibt, verspricht die Kommission.

Ob und in welchem Ausmaß es der neuen EU-Kommission gelingt, mit diesem Stimulus-Paket die europäische Wirtschaft aus ihrem Wachkoma herauszuholen, kann man noch nicht sagen. Auch muss noch vieles an dem Vorhaben konkretisiert werden. Alchemie ist an ihm aber wenig.

Ein Zauberkunststück hat Juncker dennoch vollbracht: Ihm gelang es, Angela Merkel mit ins Boot zu holen. Die deutsche Kanzlerin signalisiert jedenfalls ihre „prinzipielle Zustimmung“. Und das grenzt tatsächlich an ein Wunder. Solange nicht die europäischen Haushalte in Ordnung gebracht sind, seien gezielte Wachstumsimpulse durch die EU geradezu schädlich. So lautet das deutsche Credo. Für Merkel gab es bis jetzt einen einzigen Weg aus der Misere: Reduzierung der öffentlichen Ausgaben und Deregulierung. Und jetzt kommt aus Berlin plötzlich das vorsichtige Ja zum Investitionsfonds. Eine Wende zeichnet sich ab.

Deshalb haben die EU-Südstaaten trotz aller Kritik Junckers Projekt begrüßt: Mit diesem wird erstmals wirklich eine Bresche in die europäische Austerity-Politik geschlagen. Dem Geschick des neuen Kommissionspräsidenten, dieses alten Hasen der EU-Politik, allein ist das freilich nicht zu danken. Juncker konnte Berlin von der Notwendigkeit einer aktiven Wachstumspolitik aus drei Gründen überzeugen:

• Er besitzt als Kommissionspräsident eine größere demokratische Legitimation als seine Vorgänger in diesem Amt – es ist auch kein Zufall, dass er seinen Investitionsplan vor dem Europaparlament verkündete. Jedenfalls kann er aus einer stärkeren Position heraus mit den Regierungschefs der EU-Länder, so auch mit Angela Merkel, verhandeln.

• Seit heuer ist auch die so erfolgreiche deutsche Wirtschaft von der generellen Stagnation erfasst. Die Analysen, wonach der Mangel an öffentlichen Investitionen (in Deutschland sind sie geringer als in allen anderen EU-Staaten) verantwortlich für das stockende Wachstum ist, häufen sich. Auch deutsche Ökonomen, die bisher jeglichem Staatsinterventionismus abhold waren, monieren stärkere Aktivitäten der öffentlichen Hand.

• Schließlich setzt sich international immer mehr die Erkenntnis durch, dass die bisherige EU-Politik weder zur Erholung der Wirtschaft geführt, noch dazu beigetragen hat, die Staatsschulden abzubauen – im Gegenteil. Symptomatisch der Schwenk der OECD: Noch 2010 plädierte diese Organisation der entwickelten Länder für rigorose Haushaltssanierungen und Erhöhungen der Zinsen. Heute drängt sie die EU-Staaten zu aktiver Wachstums- und lockerer Geldpolitik und rät, den Ländern mehr Zeit zu geben, wenn es darum geht, die strengen Kriterien des Fiskalpaktes zu erfüllen. Sprich: Zu schnell soll nicht gespart werden. Jetzt geht es darum, zu stimulieren und zu investieren.

Der Wind dreht sich. Schon frohlockt Nobelpreisträger Paul Krugman in der „New York Times“, dass „Keynes langsam gewinnt“. Und diesem Zeitgeist folgt nun auch Jean-Claude Juncker – nicht nur mit seinem Investitionspaket: Vergangenen Donnerstag erklärte er auch in einem Interview, dass er jene EU-Staaten, welche die vom Fiskalpakt vorgeschriebenen Schuldengrenzen überschreiten, keinesfalls – wie vorgesehen – abzustrafen gedenke. Mit den Sparvorgaben wolle er legerer umgehen.

Kann Europas Wirtschaft mit der neuen EU-Politik, für die Juncker steht, wieder zum Wachsen gebracht werden? Das ist ungewiss. Als sicher kann man aber annehmen, dass eine einfache Fortschreibung des bisherigen Kurses direkt in die Katastrophe führen würde.

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Georg Hoffmann-Ostenhof