Kolumne

Klasse Gesellschaft

Die alten Abwertungsrituale sind immer noch beliebt. Aber wirken sie auch?

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Als ich vor vielen Jahren anfing, journalistisch zu arbeiten, gab es in irgendeinem Ministerium einen Ministerialrat, der hatte denselben Nachnamen wie ich. Die honorigen älteren Herren (Journalisten, Politiker, Beamte), mit denen ich als junge Journalistin zusammentraf, wollten als Erstes alle wissen:  „Sind Sie die Tochter vom Herrn Ministerialrat Hammerl?“ War ich nicht. Vor allem aber war ich damals sehr verwundert, weil nach meinem Vater gefragt wurde. War das nicht total egal, wo ich doch als Mitarbeiterin einer Zeitung auftrat und nicht als Tochter von wem auch immer? Heute weiß ich, dass es nicht egal war, sondern meiner gesellschaftlichen Einordnung dienen sollte. It’s the breed, stupid!

Lange her und vorbei? Na ja.

Vor Kurzem hat Barbara Blaha, Chefin des Momentum-Thinktanks und  neuerdings auch profil-Kolumnistin, in einem TikTok-Video geschildert, wie sie sich als Arbeiterkind an ihrem ersten Tag auf der Uni fühlte: fremd und verloren. Das Gefühl, eigentlich nicht hierherzugehören, habe sich panikartig verstärkt, als sie den Hörsaal für ihre erste Vorlesung nicht gleich fand. 

Sehr offen hat sie das beschrieben, als Ermutigung für alle, die vielleicht gleichfalls auf mentale Barrieren stoßen, wenn sie sich anschicken, die sozialen Schranken ihres Herkunftsmilieus zu überwinden. Man hätte darauf mitfühlend, berührt, nachdenklich, von mir aus auch erstaunt reagieren können. Unerwartet war jedoch die Flut von Spott und Häme, die das Video in den sozialen Medien ausgelöst hat. Tenor: Wenn das Arbeiterkind zu deppert ist, den Vorlesungssaal zu finden, dann soll es halt nicht studieren wollen. 

Wir lernen daraus, wie riskant es immer noch ist, sich in unserer Klassengesellschaft als Kind aus minder privilegiertem Haus zu outen, auch dann, wenn du längst bewiesen hast, dass du gescheiter und tüchtiger bist als viele Töchter und Söhne, denen von klein auf die Wege geebnet werden.

Andreas Babler: Arbeitersohn; redet Dialekt; ein Bürgermeister aus der Provinz. Uiii!

Elfriede Hammerl

„Arbeiterkind“ wurde in diesem Zusammenhang zum Terminus ironicus für eine Kategorie Mensch, die froh sein soll, wenn sie auf Mittelschicht machen darf, statt wehleidig mit Diskriminierungserfahrungen hausieren gehen zu wollen. 

Klassengesellschaft darf man natürlich nicht mehr sagen. Oder Klassenschranken. Oder Klassenkampf gar! Schrecklich! Verstaubt. Schnee von gestern. Na gut. Wie sagt man aber dann zu einer Gesellschaft, in der hämisch darauf gelauert wird, ob Menschen, die es zu öffentlichem Ansehen bringen (wollen), ein Mangel an bürgerlichen Distinktionskennzeichen nachgewiesen werden kann?

Gegenwärtig zeigt sich dieses reflexartige Heruntermachen in der Art, wie Medien und politische Gegner auf Andreas Babler reagieren, den – so der honorige Professor Filzmaier – „hochstilisierten Pseudohelden einer Wiener Twitterblase“: Arbeitersohn; kein Akademiker, zumindest kein richtiger; redet Dialekt; ein Bürgermeister aus der Provinz. Uiii!

Das wirft die Frage auf, was denn nun die Merkmale sein sollen, an denen man eine respektable Führungspersönlichkeit erkennt. Die Antwort „formale Bildungsabschlüsse“ wird zur Lachnummer, wenn wir an eine Ministerin denken, deren Seepocken-Dissertation dem Ansehen von Doktortiteln schwer zugesetzt hat. Und die Hochsprache fungiert als Schichtentrenner vor allem in der Großstadt, während überall dort, wo man sich auf die stolze Tradition freier Bauern beruft, regionale Dialekte hochgehalten und geachtet werden. 

Tatsächlich ist es viel einfacher: Wer diskriminieren will, findet Instrumente dafür, entscheidend ist aber  am Ende weniger, womit diskriminiert wird, sondern ob die Diskriminierung wirkt. Und da zeigt sich am Phänomen Babler, dass klassistische Entwertung zwar immer noch mit denselben Mitteln betrieben wird wie eh und je, dass sie aber ihre Wirkung verfehlt, wenn einer gar nicht dazugehören will zur vermeintlichen Elite. 

Die Aufbruchsstimmung, für die Babler steht, ist ein Signal gegen die immer noch existente Klassengesellschaft, und die Kernbotschaft lautet: Wir sind keine Bittsteller:innen! Plötzlich entsteht da wieder so etwas wie Klassenstolz, viele Jahre, nachdem der Arbeiterpartei die Arbeiter abhandengekommen sind, weil die Genossen der Bosse sie an den Neoliberalismus verkauft haben.

Seit Langem behaupten Politik und Medien eine schrankenlose Gesellschaft, während sie gleichzeitig die Kriterien vorgeben, nach denen Respekt oder Geringschätzung zu verteilen sind. Zwei Faktoren spielen dabei unverändert eine wesentliche Rolle, nämlich Herkunft und Geld. Und je nachdem, ob die Herkunft mit alter Familientradition (und entsprechenden Netzwerken) verknüpft ist oder nicht und ob Vermögen vorhanden ist oder nicht, landet man im Töpfchen oder im Kröpfchen. 

Erfrischend, wenn  sich die fürs Kröpfchen Bestimmten auf einmal dagegen wehren, statt den Schmäh zu glauben, dass Aschenputtel für barrierefreie Aufstiegschancen steht. Bitte genau lesen: Aschenputtel ist die Tochter eines reichen Kaufmanns, der bei Hof verkehrt. Wird gern weggelassen.

Offenlegung: Elfriede Hammerl unterstützte Andreas Bablers Kampagne bei der Mitgliederbefragung der SPÖ.