Entschuldigung!

Irren ist menschlich. Seine Irrtümer eingestehen weniger.

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Vor Kurzem hatte ich auf X vulgo Twitter das, was man auf Neudeutsch „beef“ nennt. Bemerkenswert daran war, dass nicht die üblichen Verdächtigen herumpöbelten, sondern honorige Leute. Ich fand und finde, dass Greta Thunbergs vermeintlicher Protest gegen Israel nichts weiter ist als instagramtauglicher Antisemitismus, und das ist ja keineswegs eine exklusive Meinung. Ich messe das auch an den neuen Freunden Gretas.

Jürgen Elsässer, der Verleger des vom deutschen Innenministerium monatelang verbotenen Magazins „Compact“, findet Thunbergs Wende von der Friday-For-Future-Leitfigur zur antiisraelischen Propagandistin toll, er müsse sich geradezu für seine Ablehnung der Gretel von früher entschuldigen. Wenn es gegen die Juden geht, sind sich vermeintlich ganz Rechte und vermeintlich ganz Linke schneller einig, als man „Staatsanwaltschaft“ rufen kann.

Aber darum geht es nur nebenher. Ich möchte eigentlich, dass sich die Leute bei mir entschuldigen, die jahrelang jede Kritik an dem, wie Greta Thunberg agierte, als böswillige rechte Verschwörung diskreditiert haben. Ich möchte gerne, dass sich Rufmörder entschuldigen. So einfach ist das. Ich bat also um entsprechende Beiträge in meiner doch recht ökologisch gefestigten Timeline.

Na, da war aber was los.

Viele Journalistenkollegen (m/w/d) machten das, was sie meistens tun. Sie taten so, als ob sie das nicht verstünden. „Wie meinst du das?“, fragten sie, die immer was meinen, ganz so und mit jenem ahnenden Unterton, der dem Milieu eigen ist. Wer vom Kritisieren lebt, hat es selten mit der Selbstreflexion. Etwas später regten sich dann die Vertreter angesehener Institutionen, Universitäten, Religionsgemeinschaften und NGOs bei mir auf. Alles honorige Leute. Wie könne ich nur um so was bitten?! Für die Irrtümer von gestern könne man sich gar nicht entschuldigen, denn damals war ja richtig, was heute falsch scheint.

Ich hätte das jetzt liegen lassen, nur diese Argumentation war, weil durchgängig, dann doch zu verlogen. Mich erinnert das an die Leute, die nach dem Krieg nicht wissen konnten, wohin das Ganze führt. Konnte man ihnen das Gegenteil beweisen, dann war das ihr Lieblingsargument: Es waren andere Zeiten. Ich will hier nicht alte Nazis und neue Antisemiten durcheinanderbringen, das erledigen schon andere für mich. Aber der Mechanismus ist gleich.

Mir fällt bei all den Leuten, die es nicht schaffen, sich für ihren oberflächlichen Opportunismus – darum geht es hier ja – zu entschuldigen und einfach zu sagen: Da hätten wir genauer hinsehen müssen, immer der gute alte Viktor Frankl ein. „Zwischen Reiz und Reaktion“, sagte der große Mann, „liegt ein Raum. In diesem Raum liegt unsere Macht, unsere Reaktion zu wählen. In unserer Reaktion liegen unsere Entwicklung und unsere Freiheit.“

Das, so gestehe ich, beherzige ich selbst nicht immer, merke aber, dass es anderen noch viel öfter so geht, wie man am Beispiel von Gretas alten und neuen Freunden sieht. Es gilt auch dann, wenn man die vorschnellen Reaktionen und die daraus resultierenden Irrtümer heute als solche anerkennt – eine menschlich noble Geste, die das gerade Gegenteil von ideologischem und menschlichen Starrsinn ist. Wir irren, auch wenn es um Irre geht, zuweilen. Und dann sollte man sich das eingestehen. Alles andere ist eben Heuchelei und menschlich ziemlich unten – und Teil des großen Oberflächlichkeitsproblems, das diese Gesellschaft hat. Wirklich coole Leute machen das anders, so wie Frankl es empfahl – oder, auch einer, der oft falsch verstanden wurde, der Ökonom John Maynard Keynes. Der soll in einem Interview, bei dem ihm der Journalist vorwarf, seine Meinung in einem Sachthema geändert zu haben, geantwortet haben: „Wenn sich die Fakten ändern, dann ändern sich auch meine Schlussfolgerungen dazu. Wie machen Sie das denn?“

Gute Frage. Die Antwort blieb, sorry, aus.

Wolf  Lotter

Wolf Lotter

ist Autor und Journalist und schreibt einmal monatlich eine Kolumne für profil, wo er von 1993 bis 1998 Redakteur war.