Gastkommentar

Kurt Langbein über Claus Gatterer: Im Zweifel aufseiten der Schwachen

Warum Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer gebraucht wird.

Drucken

Schriftgröße

"Das Fernsehen verliert seinen Sinn, wenn es von Mächtigen für Mächtige gemacht wird", war Claus Gatterers Credo. Der aus Südtirol stammende Journalist schrieb mit dem TV-Magazin "teleobjektiv" Fernsehgeschichte. Er leitete das Magazin von 1974 bis 1984. Reportagen über die slowenische Minderheit in Kärnten, über die Lage der Roma, über Arbeitslose und psychiatrische Anstalten, in denen noch der NS-Geist herrschte, bewegten das Land. Sie lösten Debatten und manchmal sogar Demonstrationen aus.

Es waren Jahre der Öffnung und des gesellschaftspolitischen Wandels, der Modernisierung der Gesetze und des Justizapparates. Aber es waren auch die Jahre des beginnenden Siegeszuges des Neoliberalismus mit Ronald Reagan und Margaret Thatcher. Entsprechend umstritten war die Sendereihe, die bis zu drei Millionen Seher vor den TV-Schirm lockte. "Als kritische Sendung hat, teleobjektiv' sich vorwiegend mit den Mitbürgern in den Schattentälern unserer Sonnenlandschaft zu beschäftigen gehabt, mit den Schwachen", resümierte Gatterer, der als Südtiroler selbst einer Minderheit angehörte. In der letzten Sendung vor der erzwungenen Einstellung sagte er: "Wir haben stets bei jenen auf Unterstützung gehofft, die von Amts wegen für diese Menschen im Schatten zuständig sind. Eingetreten ist meist das Gegenteil."

Ich durfte bei Claus Gatterer das journalistische Handwerk lernen. Für ihn war der Zustand aller Minderheiten der entscheidende Gradmesser für den Zustand der Gesellschaft: "Fremde", Arbeitslose, ethnische, kulturelle und religiöse Minderheiten. Da war Gatterer parteiisch - "im Zweifel aufseiten der Schwachen" war ein weiteres seiner Mottos. Das bedeutete aber keineswegs blinde Parteinahme. Ich habe bei ihm gelernt, dass ein von Skrupel und Bedenken getragener Gegencheck jedes Fakts und die freundliche Einladung an alle Beteiligten, ihre Position darzulegen, das Um und Auf für verantwortungsvollen Journalismus sind.

Aber dann galt es auch, die gewonnene Klarheit entschlossen zu argumentieren und allen Drohungen, dies zu unterlassen, zu trotzen. Denn "Tatsachen sind niemals ausgewogen", sagte und meinte Claus Gatterer. Und dazu stand er, auch und gerade, wenn Politiker die Einstellung seiner Sendung verlangten oder Konzernchefs ihn vor den Kadi zerrten. Fernsehen solle nicht von Ängstlichen für Ängstliche gemacht werden. Davon war der Sprössling einer Bergbauernfamilie überzeugt.

Message Control gab es damals wie heute, nur die Bezeichnung und die Umsetzungsmethoden variieren. Gerd Bacher, damals Alleingeschäftsführer des ORF, versuchte die "teleobjektiv"-Mitarbeiter rauszuwerfen, Minister und Landeshauptleute forderten die Einstellung der Sendung und Gatterers Ablösung. Aber viele Tausend TV-Seher*innen protestierten in Petitionen, und der in bürgerlich-liberalen Kreisen verkehrende Gatterer wehrte sich - auch mit Unterstützung von Zeitungen und Zeitschriften wie dem profil. Für Gatterer ergab Journalismus nur Sinn, wenn er sich nicht in der Beschäftigung mit Politikern erschöpft. Die Demokratie braucht Informationen und Argumente, die Hintergründe und Auswirkungen von Politik und Defizite bei Menschenrechten sichtbar machen.

In den frühen 1980er-Jahren gab es intensive Dispute über Gerechtigkeit und Menschenwürde. Damals hat Gatterer dafür gesorgt, dass meine investigativen Filme über Arbeitsbedingungen im Gastgewerbe (etwa die Nichteinhaltung des Achtstundentages), über schwere Misshandlungen in Kinderheimen und über Menschenversuche an Patienten im Auftrag der Pharma-Industrie gesendet wurden.

Heute haben wir den Zwölfstundentag, Kinder werden wieder in Heime oder in Schubhaft gesperrt - es reicht, dass sie einen fremden Pass haben. Und die Gefängnisse sind erneut überfüllt. Viele applaudieren dazu.

"Etliche Politiker verstehen es heute, aus der Angst der Menschen vor Veränderung - und zuletzt auch vor Covid-19 - eine Ware zu machen, die Unmenschlichkeit und Ausgrenzung als Sicherheit verkauft."

Etliche Politiker verstehen es heute, aus der Angst der Menschen vor Veränderung - und zuletzt auch vor Covid-19 - eine Ware zu machen, die Unmenschlichkeit und Ausgrenzung als Sicherheit verkauft. Und der überwiegende Teil der Medien hat seine Kontrollfunktion verloren, wird dafür mit Regierungsinseraten und Subventionen gefüttert und trägt diese Stimmungsmache mit. Gesellschaftspolitischer Hintergrundjournalismus, der Zusammenhänge offenlegt und durch Orientierung die Angst reduziert, ist zur Randerscheinung geworden.

Wir brauchen wieder einen Journalismus, der die öffentliche Kommunikation mit den Stimmen der Menschen an den Rändern der Gesellschaft belebt. Der sich nicht im Befragen von Politikern erschöpft, sondern die Interessen aufspürt, denen die Politik folgt - und den Folgen ihres Tuns.

Wir brauchen wieder mehr Publizist*innen, die entsprechend den Grundsätzen Gatterers handeln. Kolleginnen und Kollegen, die nach solchen Grundsätzen arbeiten, sollen mit dem neuen, an Claus Gatterer erinnernden Preis ermutigt und gestärkt werden.

Kurt Langbein, 67, war bis 1989 Dokumentarfilmer beim ORF, danach Ressortleiter im profil. Seit 1992 leitet er die "Langbein & Partner Media"-Filmproduktion. Er ist außerdem Sachbuchautor (zuletzt: "Das Virus in uns - ein Evolutionskrimi").