Häupl und die Lehrer, das ist Zynismus auf Kosten von Kindern.

Christian Rainer: Lehrer faul? System faul!

Häupl und die Lehrer, das ist Zynismus auf Kosten von Kindern.

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Erste Reihe fußfrei, so will man die Auseinandersetzung zwischen dem Wiener Bürgermeister und der Lehrergewerkschaft verfolgen. Zwei Systeme, die sich seit Jahrzehnten selbstzufrieden der Reform verweigern. Autokratische Verwaltung von 1,8 Millionen Bürgern hie, 1,2 Millionen Schülern dort. Zwei machtdurchflutete Männer mit Altersähnlichkeit in Verhaltensmuster und Erscheinungsbild. Michael Häupl seit 20 Jahren als Stadtcapo unantastbar, Fritz Neugebauer seit 17 Jahren als Beamtenchef. Repräsentanten von Stabilität und Lähmung, Bewahrer und Verhinderer zugleich.

Häupl hat in Häuplmanier die Lehrer verarscht. Deren wöchentliches Arbeitspensum hätte er „schon am Dienstag zu Mittag“ hinter sich gebracht. Das kam nicht so gut. Wien wählt im Herbst, die roten Lehrer werden sich revanchieren. Ich oder ich?

Erste Reihe fußfrei. Wäre da nicht Strache. Ginge es nicht um Bildung und damit um Kinder. Eben um alles.

Also mal wieder Lehrer. Vorneweg: Das Thema ist eine Themenverfehlung, denn wir sollten hier über die Inhalte des Unterrichts sprechen, die sind wichtiger. Das werden wir weiter unten tun. Arbeiten Lehrer genug?

Um das zu untersuchen, brauchen wir drei Kriterien: Unterrichtszeit, Arbeitszeit, psychische Belastung. Derzeit wird über zwei Stunden mehr an Unterrichtszeit pro Woche gestritten. Das heißt freilich gar nichts. Wie konnte man nur auf die absurde Idee kommen, eine Einheit Leibesübungen oder Bildnerische Erziehung mit einer Einheit Deutsch oder Mathematik zu vergleichen? Die prozentuelle Differenzierung, die im Gesetz gemacht wird, ist willkürlich. Wie kann man Volksschule und AHS und berufsbildende Schulen, Ober- und Unterstufe gleichsetzen? Was hat der Arbeitsaufwand einer jungen mit dem einer routinierten Lehrerin zu schaffen? Die internationalen Vergleiche sind auch nichts wert. Und ja, es gibt elendslange Ferien, die kaum jemand zur Fortbildung, Nach- oder Vorbereitung nutzt.

Das ist eine todkranke Diskussion, die jeden beleidigt, der sie mithören muss. Sie ist hermetisch, weil sie mehr interner Streit ist als Auseinandersetzung im öffentlichen Raum. Meinungen von außen oder gar objektive Arbeitszeiterfassung mittels unabhängiger Studie sind nicht zugelassen. Fazit: Unterrichtszeit steht in komplexer und individueller Relation zur Arbeitszeit. Der Job ist nicht mit anderen Berufen auf eine Skalierung zu bringen.

Erst recht deshalb: Viele Argumente der Lehrer, mehr noch die arroganten Auslassungen der Gewerkschaft sind Sperrfeuer oder Nebelgranaten. Wenig Grund also, Empathie zu zeigen. Dennoch: Unterricht belastet psychisch und nicht nur die Schüler. Wer lehrt, muss sich besser konzentrieren als ein Handelsangestellter, braucht mehr Selbstbewusstsein als ein Arzt, hat größere soziale Kompetenz als ein Techniker. Das gilt in jeder Schule, bei hohem Migrantenanteil gilt es im Übermaß, wird untragbar. Wer eine Woche unterrichtet, hält 20 Stunden Gruppentherapie und kümmert sich um Einzelfälle obendrein. Auch das muss honoriert werden.

Nochmal Fazit: Ob Lehrer in Österreich genug arbeiten, kann nicht per Zeiterfassung beantwortet werden. Da kann nur ein gesellschaftlicher Grundkonsens helfen. Richtig ist: Die Suche nach diesem Grundkonsens verhindern die Lehrer, weil sie zulassen, dass ihre Gewerkschaften die Diskussion verweigern.

Und dennoch: Diese Zeilen über Lehrer waren eine Themenverfehlung, wie angekündigt. Worauf sich die Politiker, die Lehrer, die Öffentlichkeit endlich konzentrieren sollten: Was wird da eigentlich vorgetragen?

Die Lehrpläne an Österreichs Schulen muten weiterhin bizarr an. Statt Verfassungs- und Strafrecht werden Jahreszahlen auswendig gelernt, statt Psychologie und Soziologie die Daten von mittelalterlichen Schlachten. Mit Latein wird Zeit verschwendet, während romanische und slawische Sprachen Fleißaufgabe sind. Rechtschreibung und Satzzeichen werden sukzessive zur Nebensache, Flüsse und Hauptstädte bleiben im Zentrum. Kein Schüler kann Prozent von Prozentpunkt unterscheiden, eine Steuererklärung ausfüllen, aber Trigonometrie und Infinitesimalrechnung sind im Plan. Undsoweiterundsofort.

Die Jugend wird nicht auf die Gegenwart vorbereitet oder gar auf die Zukunft, weil die Schulen in der Vergangenheit leben, nicht nur organisatorisch, vor allem im Inhalt. Aber wer diskutiert darüber?