Christian Rainer: Nächster HBP wird …

Die Kandidaten zur Bundespräsidentenwahl. Eine Zwischenbilanz. Unter Auslassung der Spaßvögel.

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Irmgard Griss. Ich halte Irmgard Griss für überschätzt. So lautet auch das Urteil der meisten Menschen, mit denen ich spreche. Im Schnitt werden Griss fünf bis zehn Prozent der Stimmen zugetraut (wobei häufiger sechs zu hören ist als neun). Überschätzt heißt in diesem Zusammenhang einerseits: Sie wird weit weniger Stimmen bekommen, als ihr die Umfragen noch immer prophezeien, auch weniger, als die mediale Euphorie rund um ihre Kandidatur vermuten ließ. Was ihr für den Erfolg fehlt, ist ein wahlkampferprobter Apparat. „Überschätzt“ hat aber auch eine inhaltliche Dimension: Eine Bundespräsidentin sollte politische Erfahrung haben, sollte die Machtmechanismen beherrschen, sollte möglichst viele der handelnden Personen im In- und Ausland kennen. Denn das Amt hat im Alltag eine nur vage sichtbare ausgleichende, verbindende Funktion, und in Krisenzeiten kann diese Funktion überlebenswichtig für die Demokratie werden. Frau Griss kann diese Aufgabe mangels Erfahrung wahrscheinlich nicht erfüllen.

Alexander Van der Bellen. Mit Frau Griss hat sich die Sicherheit in der Einschätzung aber auch schon aufgehört. Ihr traut niemand zu, den zweiten Wahlgang zu erreichen – den anderen vier ernsthaften Kandidaten sehr wohl (was bereits alles über die Unmöglichkeit sagt, einen Wahlausgang zu prognostizieren). Alexander Van der Bellen könnte also locker in die Stichwahl kommen. Das alleine ist eine äußerst überraschende Erkenntnis angesichts eines grünen Kandidaten in einem Land mit drei über Ewigkeiten gewachsenen politischen Lagern. Für ihn spricht, dass er ein alter Fuchs ist. Van der Bellen kennt alle Finten des Geschäfts, wirkt gelassen, selbstsicher, ist im Fernsehauftritt souverän, sieht angeblich gut aus. Vor allem aber ist er als einziger Kandidat für fast alle Österreicher – minus die echten Rechten – wählbar. Mächtig gegen ihn spricht hingegen, dass er beim wichtigsten Thema dieser Monate eine Minderheitenposition einnimmt: Obwohl er inzwischen versucht, diese Haltung zu relativieren, gilt er als bedingungsloser Vertreter der Willkommenskultur. Im zweiten Wahlgang hätte er meiner Meinung nach nur gegen Norbert Hofer gute Chancen, nach Meinung vieler anderer allerdings auch gegen Andreas Khol.

Norbert Hofer. Bei ihm scheiden sich die Geister. Für niemanden ist die Unsicherheit der Prognosen ähnlich groß, für ihn höre ich alles zwischen zehn und 30 Prozent im ersten Wahlgang. Diese Zwiespältigkeit ist ein präzises Bild seiner Persönlichkeit: ein hartgesottener schlagender Burschenschafter, der mit dem Image eines Jazzmessen besuchenden Zivildieners hausieren geht. Folgerichtig denke ich, dass er das Potenzial der FPÖ auch nur dann ausschöpfen kann, wenn Heinz-Christian Strache persönlich ausrückt und – wie einst Jörg Haider bei vielen Gelegenheiten – als der heimliche Kandidat mit Hofer in den Wahlkampf zieht. Für Hofer spricht, dass er die Antiflüchtlingsstimmung quasi als deren Mentor nutzen kann, gegen ihn, dass die Österreicher beim Bundespräsidenten vielleicht doch ein milderes Gesicht wünschen – und dass er die konservativen Stimmen mit Khol teilen muss. Zweiter Wahlgang: nicht mehrheitsfähig.

Andreas Khol also. Möglicherweise hätte Franz Fischler bessere Chancen gehabt, mangels einer Kandidatur des weit aussichtsreicheren Erwin Pröll ist Khol aber eine gute Idee des VP-Chefs gewesen. Hinter ihm stehen 300.000 Mitglieder des Seniorenbundes. Nur Van der Bellen ist ähnlich wahlkampferfahren wie er. Allerdings hat Khol in den ersten Wochen enttäuscht. Im Gegensatz zu seiner Selbsteinschätzung wirkt er fahrig und nicht auf der Höhe der Zeit. Sein elitäres und belehrendes Gehabe ist stärker ausgeprägt, als ohnehin erwartet wurde. Andererseits: Die Partei steht entgegen den Befürchtungen und trotz persönlicher Feindschaften geschlossen hinter Khol. Und die Trümmer von Schwarz-Blau – Super-GAU Hypo, kriminelle Machloikes – scheinen den Architekten jener Koalition nicht zu belasten. Chancen: Er muss sich das konservative Lager mit Hofer und Griss teilen, dennoch gute Aussichten für den Aufstieg. In der zweiten Runde: gegen Rudolf Hundstorfer eher nein, gegen Hofer ja, gegen Van der Bellen uneinschätzbar.

Rudolf Hundstorfer schließlich. Er liegt bei den Quoten dünn vor den anderen, bei meiner Prognose auch (wobei die Reihung hinter ihm völlig diffus bleibt). Hundstorfer hat sich als einziger Kandidat ein klares, unterscheidbares Image zugelegt und dieses mit seinem Antrittsvideo hinterlegt: ein Mann aus dem Arbeitermilieu, der mit seinem Aufstieg sympathisch kokettiert. Damit neutralisiert er seine Schwächen oder macht sie sogar zur Tugend: der hemdsärmlige Auftritt als proletarischer Schick, die Parteikarriere als eine Möglichkeitsform des österreichischen Systems. Das fügt sich wiederum in die absehbare Strategie des Gewerkschafters, über betriebliche Strukturen Wahlbeteiligung zu generieren, sowie an die FPÖ verlorene Arbeiter für einen Augenblick zurückzuholen. Gegenargumente: Er ist doch ein Vertreter der Stillstandsrepublik, was überzeugte Protestwähler fernhält. Er bleibt ein strammer SPÖler, was Gift bei strammen Konservativen ist. Er hat spät und halbherzig auf einen restriktiven Kurs gegenüber Flüchtlingen – das beherrschende politische Thema – eingelenkt. Chancen: siehe oben – somit gut in beiden Wahlgängen.