Martin Staudinger: Der Tag danach

Putin, Erdoğan, Trump: Drei unangenehme Kraftprotze wackeln. Doch was passiert, wenn sie fallen?

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Es sind Machtdemonstrationen, die vor allem dazu dienen, offenkundige Schwächen zu kaschieren. Vergangene Woche präsentierte Russlands Präsident Wladimir Putin zum „Tag der Marine“ in St. Petersburg ein neues Waffensystem, bei dem vieles an Filme erinnert, in denen katzenstreichelnde Bösewichte namens Mr. Evil oder Blofeld auftreten: eine Hyperschallrakete namens „Zirkon“. 


Drei Tage zuvor hatte Putins türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan ähnlich den starken Mann markiert – in diesem Fall nicht militärisch, sondern religiös. (Wobei: Wenn Erdoğan  von Minaretten redet, sind Bajonette bekanntlich mitgemeint.) Er vollzog die Umwidmung der ursprünglich als christlich-orthodoxe Kirche gebauten, in vernünftigeren Zeiten als Museum genutzten Hagia Sophia in eine Moschee. Und Donald Trump tut momentan eigentlich nichts, was nicht in die Kategorie Brustgetrommel fällt.


Die ganze Kraftmeierei kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die drei Herren einigermaßen nervös sind. Putin etwa hat sich per Referendum gerade die Möglichkeit ertrotzt, bis ins Jahr 2036 regieren zu können (er wäre dann 84) – da brechen im Osten Russlands Proteste gegen seine Partei aus. Demonstrationen gegen den Kreml hat es immer wieder gegeben, sie blieben in der Regel allerdings ein Minderheitenprogramm. Zwischen 80 und 90 Prozent der Bevölkerung gaben Putin und seiner Politik Rückhalt. Inzwischen ist laut aktuellen Umfragen die Zustimmung für den Präsidenten auf 60 Prozent gesunken. Die schwelende Wirtschaftskrise des Landes wird durch die Corona-Pandemie verschärft, die alten Rezepte des Machterhalts – etwa das Spiel mit dem Patriotismus wie bei der Annexion der Krim – funktionieren nicht mehr.


Erdoğan ergeht es ähnlich wie Putin. Auch er hat über Jahre hinweg mit Raffinesse und Brutalität ein ganz auf seine Person zugeschnittenes System entwickelt – um jetzt erkennen zu müssen, dass die Fundamente weitaus weniger solide sind als erhofft. Die Türkei wurde von der Corona-Pandemie schwer getroffen. Der Tourismus, der zuvor mehr als elf Prozent des BIP erwirtschaftete, liegt darnieder. Von absoluten Mehrheiten ist Erdoğans AK-Partei nicht nur in Umfragen, sondern auch bei Wahlen inzwischen weit entfernt. 


Und Donald Trump? Kommt nicht aus dem Tief heraus, in das er sich letztlich durch Realitätsverweigerung in der Corona-Krise manövriert hat. Die US-Wirtschaftsdaten sind desaströs. Ende vergangener Woche musste die Regierung in Washington für das zweite Quartal 2020 ein BIP-Minus von 9,5 Prozent melden. Entsprechend schlecht sind die Umfragewerte: Selbst wenn man sich in Erinnerung ruft, wie falsch die Meinungsforschung und die Medien im Jahr 2016 lagen, erscheint es durchaus möglich, dass Trumps erste Amtszeit auch seine letzte bleiben wird.

Kann man darüber jubeln, dass diese drei Kraftprotze wackeln, und zwar merklich? Für die Wertmaßstäbe liberaler Demokratien sind sie allesamt eine Zumutung, für Europa und seine Interessen zudem die größten Störenfriede.


Man könnte – wenn man nicht auch darüber nachdenken müsste, was passiert, wenn Putin, Trump und Erdoğan nicht nur wanken, sondern fallen.


Dabei scheint es ironischerweise so zu sein, dass die Türkei einen Machtwechsel mit vergleichsweise wenigen Verwerfungen überstehen würde. Die Bevölkerung hat dort immer wieder unter Beweis gestellt, dass sie über ein intaktes demokratisches Bewusstsein verfügt, etwa indem bei Wahlen in jüngerer Vergangenheit auch konservative Hochburgen einen eigenen Willen entwickelten und Erdoğan die Gefolgschaft aufkündigten. Und eine funktionierende Opposition gibt es auch. Ohne Chaos dürfte eine Ablöse Erdoğans dennoch nicht vonstattengehen.


Ein Umbruch in Russland würde allein aufgrund der Größe des Landes weitaus gefährlichere Schockwellen auslösen – im Vorfeld ebenso wie in seinen Nachwirkungen. Immerhin ist nicht abzusehen, wer Wladimir Putin beerben würde. Zu undurchsichtig sind die Machtstrukturen im Kreml. 


Obwohl in beiden Ländern offenbar einiges in Bewegung geraten ist, scheint aber klar, dass es Putin und Erdoğan in absehbarer Zeit noch immer geben dürfte. Mit Trump könnte es aber schon im November vorbei sein. 


Oder auch nicht: Er baut (das war in der Vorwoche auch Thema in „Super Tuesday“, dem US-Podcast von profil) bereits vor, um eine allfällige Niederlage als Fälschung delegitimieren zu können. Am vergangenen Donnerstag brachte er per Twitter zudem eine Verschiebung der Wahl ins Spiel – übrigens nur wenige Minuten nach der Bekanntgabe der Wirtschaftsdaten.
Sollte Trump tatsächlich verlieren und das Wahlergebnis nicht akzeptieren, könnte das eine in den USA eine nie dagewesene Krise auslösen. Nicht nur Liberale, auch Konservative befürchten für diesen Fall aufgrund der aufgekratzten, von Verschwörungstheorien vergifteten Stimmung sogar gewaltsame Auseinandersetzungen.


Was die Vereinigten Staaten betrifft, bleibt das Vertrauen in die Stärke der staatlichen Institutionen, die bislang auch dem Irrsinn von Trump widerstanden haben. 


Insgesamt gilt aber, was der Arabische Frühling die Welt gelehrt hat: Wer den Sturz von Autokraten herbeisehnt, sollte sich bewusst sein, dass der Tag danach möglicherweise die größte Gefahr birgt.