Martin Staudinger: Wenn Allmacht Fantasie bleibt

Bislang hat das politische System der USA den Donald-Trump-Stresstest bravourös bestanden.

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Es war wieder einer dieser Tweets, die so typisch sind für Donald Trump: aggressiv, plump und bedrohlich. „Die Fernsehnachrichten sind so parteiisch, verzerrt und falsch geworden, dass die Sendelizenzen infrage gestellt und, wenn angemessen, widerrufen werden müssen. Nicht fair für das Volk!“, twitterte der 45. US-Präsident in der Nacht zum vergangenen Donnerstag, nachdem er sich über einen Bericht des TV-Networks NBC geärgert hatte.

Prompte Reaktion eines prominenten TV-Predigers, ebenfalls auf Twitter: „Also, Sie wollen uns das Recht auf eine freie Presse tatsächlich wegnehmen, damit Sie der Diktator werden können, der Sie immer sein wollten – läuft es darauf hinaus?“

Tatsächlich spiegelt Trumps Ausbruch möglicherweise die Allmachtsfantasien wider, die in seinem Kopf herumspuken. Amerika regieren, mit starker Hand und ohne falsche Rücksichtnahme auf Bedenkenträger, schwerfällige politische Entscheidungsabläufe und lästigen Interessensausgleich: Mit diesem Versprechen an das amerikanische Volk und sich selbst hatte er die Wahl gewonnen, und wer darin despotische, antidemokratische Züge erkennt, liegt nicht falsch.

Die bisherige Geschichte der Ära Trump bietet denjenigen, die sich gerne in ihren antiamerikanischen Ressentiments bestätigt fühlen möchten und reflexhaft auf die USA zeigen, wenn Kritik an einem ihrer Lieblingsautokraten geübt wird, dennoch wenig Anlass zur Genugtuung.

Donald Trump mag ein ähnlich herrschsüchtiger Charakter sein wie Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdoğan. Gut möglich, dass er auch gern so fuhrwerken würde wie der Kreml-Chef und der türkische Präsident: Aber er kann es nicht. Das wird – zumindest auf innerstaatlicher Ebene – von einem politischen System verhindert, das den Gerichten und Mandataren alle Freiheit gibt, sich fragwürdigen Ideen des Staatsoberhaupts zu verweigern. Und das tun nicht nur die oppositionellen Demokraten – sondern auch die viel gescholtenen Republikaner, deren Abgeordnete und Senatoren in guter US-Tradition weitaus eigenständiger handeln, als man es von Regierungsparteien in den Parlamenten Europas kennt.

Bislang ist Trump mit all seinen 'Hoppla-jetzt-komm-ich'-Vorhaben entweder komplett oder weitgehend gescheitert.

Bislang ist Trump mit all seinen „Hoppla-jetzt-komm-ich“-Vorhaben entweder komplett oder weitgehend gescheitert. Ob die „große, schöne und unüberwindliche Mauer“ an der Grenze zu Mexiko tatsächlich gebaut wird, ist nach wie vor unklar. Der Kongress hat die Milliarden Dollar, die dafür gebraucht werden, bisher nicht freigegeben.

Der sogenannte Muslim-Bann, ein Einreisestopp für Personen aus mehreren islamischen Ländern, ist zwar in Kraft, aber nur als Abklatsch von Trumps ursprünglichen Vorstellungen: Unabhängige Gerichte haben dem Präsidenten einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Auch sein Plan, den „Sanctuary Cities“ – also jenen Städten, die sich entschieden haben, illegale Einwanderer bis zu einem gewissen Grad zu dulden – die Bundeszuschüsse zu streichen und sie durch finanzielle Aushungerung zur Änderung ihrer Linie zu zwingen, wurde juristisch gestoppt.

Selbst Obamacare gibt es immer noch. Obwohl der Senat republikanisch dominiert ist, hat sich die erforderliche Mehrheit für die Abschaffung der wegweisenden Krankenversicherung dort nicht gefunden.

Zehn Monate nach der Amtseinführung des 45. und – gemessen an seiner globalen Bedeutung – wohl gefährlichsten Präsidenten der US-Geschichte kann man eine Zwischenbilanz ziehen: Das politische System der USA hat den Stresstest Trump bislang bravourös bestanden.

Stimmt schon: Dort, wo Trump in hohem Ausmaß autonom entscheiden kann – in der Außenpolitik –, waren Torheiten wie etwa der Entschluss, die UN-Kulturorganisation Unesco zu verlassen, nicht abzuwenden. Und wie sich die Auseinandersetzung mit Nordkorea weiter entwickelt, ist vorerst nicht abzusehen. Sollte der Präsident tatsächlich einen Krieg gegen das Regime in Pjöngjang beginnen wollen, müsste er gemäß der War Powers Resolution dafür zwar vorab die Zustimmung des Kongresses einholen. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass dieses schwammig formulierte Gesetz viele von Trumps Vorgängern nicht daran gehindert hat, Konflikte vom Zaun zu brechen.

Aber hinsichtlich der Vorgangsweise gegenüber Nordkorea sieht sich Trump mittlerweile heftigem Widerstand aus den eigenen Reihen gegenüber – beispielsweise von Senator Bob Corker, der als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses ein Schwergewicht der Republikanischen Partei ist.

Corker könnte auch eine wichtige Rolle für die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran spielen. Trump möchte diesen – seiner Meinung nach „schlechtesten“ – Deal aufkündigen, braucht dazu aber (komplizierte Geschichte!) den Kongress. Wobei im Senat, einer der beiden Kammern, bereits zwei republikanische Gegenstimmen reichen, um die nötige Mehrheit zu verhindern. Eine davon könnte im Fall des Falles Bob Corker gehören. Andere würden sich, wie bereits in vorangegangenen Fällen, möglicherweise auch finden.

Aber selbst wenn sich Trump in diesem Fall durchsetzt, bleibt knapp vor dem Jahrestag seiner Wahl dennoch ein Gesamtbefund: Gäbe es die USA nicht – der Staat, in dem ein Präsident mit so viel Macht seinen Drang zur Alleinherrschaft so wenig befriedigen kann, müsste dringend erfunden werden.