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Mega-Wumms und Klassenkampf

Arbeitnehmer und Arbeitgeber schenken sich derzeit nichts bei den laufenden Lohnverhandlungen. Das liegt daran, dass beide Seiten immer weniger zu verschenken haben. Höhere Löhne sind indes nicht das größte Problem der heimischen Industrie.

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„Ich möchte mir mit meinem Gehalt nur das Gleiche wie vor der Krise leisten können, den Kredit abbezahlen und die Briketts für die Heizung kaufen.“ Das sagte ein Metallfacharbeiter der ISi Gmbh am Mittwoch, dem zweiten Streiktag gegenüber profil. Und eigentlich ist das eine legitime Forderung – denn für beides zahlt er heute mehr als vor der Krise. Das durchzusetzen ist aber heuer besonders schwer. Sechs Verhandlungsrunden lang konnten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht über die diesjährige Erhöhung des Kollektivvertrags einigen. Und nichts deutet darauf hin, dass es bald passieren wird. Die Forderung von 11,5 Prozent und das Angebot von durchschnittlich sechs Prozent der Arbeitgeber (2,7 Prozent plus monatlicher Fixbetrag) klaffen noch zu weit auseinander. Die Wurzel allen Übels liegt aber woanders – und leider lässt sich das am Verhandlungstisch nicht wegdiskutieren.

„Die Bereitschaft der Betriebe, Streiks zu ertragen, ist so hoch wie noch nie“, sagte der Chefverhandler der Arbeitgebervertreter, Christian Knill. Damit wären wir auch schon bei der ersten Großbaustelle der Industrie. Dass die Betriebe Streiktage gerade besser verkraften, liegt daran, dass die Auftragsbücher in vielen Bereichen recht dünn sind und die Produktion eben nicht auf Hochtouren läuft. Eigentlich läuft es nur bei jenen richtig gut, die öffentliche Infrastruktur-Aufträge an Land ziehen konnten. Und das sind bei weitem nicht alle.

Im Vorjahr war das noch ganz anders – trotz Krise und Energiepreisexplosion. Energieintensive Betriebe wie der Stahlerzeuger voestalpine oder das Ziegelwerk Wienerberger verbuchten Traumgewinne. Die Arbeiterkammer errechnete erst kürzlich in ihrem Dividendenreport, dass die heimischen ATX-Unternehmen heuer für das vergangene Geschäftsjahr 5,85 Milliarden Euro an Dividenden an ihre Aktionäre ausgeschüttet haben. Ein Rekordwert. Ob das besonders klug und weitsichtig war, ist eine andere Frage. Denn das Geld ist jetzt weg, die Mitarbeiter fühlen sich übervorteilt. Gewinne in diesem Ausmaß sind heuer utopisch.

Teure Energie, kaum Spielräume

Und damit sind wir schon bei der zweiten Baustelle: die gesamtwirtschaftlichen Aussichten. Österreich ist in einer leichten Rezession. Die Herbstprognose der EU-Kommission verheißt wenig Gutes für das kommende Jahr: Mit einem Prozent Wachstumsrate hätte Österreich demnach die drittschwächste in der EU – nach Deutschland und Italien. Nur bei der Inflationsrate sind wir in den Top 3 der Euro-Länder.

Und dann ist da noch das dritte, völlig ungelöste Problem, das für Verwerfungen bis weit in die Zukunft sorgen wird: die Energiepreise. „Im (optimistischeren) Szenario basierend auf Markterwartungen für Erdgas- und Strompreise würden die Investitionen mittelfristig um knapp 12 Prozent und das reale Bruttoregionalprodukt um 2,3 Prozent niedriger als ohne Energiekrise ausfallen.“ Das schreibt das Wirtschaftsforschungsinstitut EcoAustria in einer Studie zu den Auswirkungen der hohen Energiepreise auf das Industriebundesland Oberösterreich im Auftrag der Industriellenvereinigung. Die Energiekosten machen, ebenfalls laut Berechnungen von EcoAustria, 20 bis 30 Prozent der Stückkosten im energieintensiven Bereich aus. Und das war noch 2021, aktuellere, amtlich bestätigte Zahlen gibt es noch nicht. Der Anteil ist heute aber mit Sicherheit höher. Das ist der größte Wettbewerbsnachteil für den Standort.

In Europa kostet Gas im Großhandel noch immer gut zwei Mal so viel in den USA. Die Strompreise liegen auch für 2024 mit 145 Euro pro Megawattstunde im Großhandel im europäischen Spitzenfeld. Deutschland reagiert auf die Verwerfungen seit Corona und Kriegsbeginn mit einem Mega-Wumms (das Copyright liegt bei Kanzler Olaf Scholz) nach dem andren. Zuletzt hat die deutsche Regierung eine Stromkostenkompensation für Industriebetriebe beschlossen. Die Stromsteuer für den produzierenden Bereich wird massiv gesenkt. Kostenersparnis: zwölf Milliarden Euro. Ob ein internationaler, Milliarden schwerer Subventionswettlauf sinnvoll ist, und es am Ende nicht einfach für alle teurer wird, ist eine andere Frage. Aber Österreich kann es sich als kleine, offene Volkswirtschaft nicht leisten, hier auszulassen. Deshalb schielen schon viele heimische Betriebe nach Deutschland. Und auch heimische Ökonomen wie Wifo-Chef Gabriel Felbermayr und EcoAustria-Chefin Monika Köppl-Turyna können dem deutschen Modell etwas abgewinnen. Damit wäre auch den Spielraum für die Lohnverhandlungen etwas größer. Mit Beginn der Energiekrise war klar: Der Krieg macht uns ärmer. Jetzt liegt die Rechnung auf dem Verhandlungstisch.

Marina  Delcheva

Marina Delcheva

leitet das Wirtschafts-Ressort. Davor war sie bei der "Wiener Zeitung".