Satire

Moskauderwelsch

Offizielle Richtigstellung der Russischen Föderation zu den haltlosen Lügen, die nicht nur dieses entmenschte Magazin ständig über sie verbreitet.

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Die russische Seele ist bekanntlich groß und weit. Und wir, diese stolze und völlig ohne eigenes Zutun leidgeprüfte Nation, die der Welt zuverlässige Ladas, zurückhaltende Oligarchenyachten und zugekleisterte russische Eier geschenkt hat, ohne dafür jemals die gebührende Dankbarkeit erfahren zu haben, halten ja nun wirklich einiges aus. Doch jetzt blutet unsere Seele. Unser Haupt ist gramgebeugt. Und deshalb ist es hoch an der Zeit, der konzertierten Desinformationskampagne des imperialistischen Westens, die einzig und allein die Erzeugung und Förderung von völlig unbegründeter und also rassistischer Russophobie zum Ziel hat, mit aller Entschlossenheit entgegenzutreten. Und endlich der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen.

Das schreckliche Flugzeugunglück, bei dem der große Patriot und Humanist Jewgeni Prigoschin ums Leben gekommen ist, wird von den ruchlosen Russenfressern in den westlichen Horten des absolut Bösen als Mord dargestellt, begangen von unserem, in einer gerechten Welt längst mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichneten Staatsoberhaupt im Kreml, dem unendlich weisen und gütigen Väterchen Wladimir. Nun: Wir wollen den völlig unabhängigen Ermittlungen, die unsere bekannt genauen und furchtlosen Behörden in einem Durch-und-durch-Rechtsstaat wie Russland nach einem solch bedauerlichen Vorfall natürlich durchführen werden, keineswegs vorgreifen. Aber was man mit an Sicherheit überschreitender Wahrscheinlichkeit jetzt schon sagen kann, ist: Es war tatsächlich Mord, dieses Körnchen Wahrheit steckt durchaus in den westlichen Lügengeschichten. Aber: Selbstverständlich hat ihn nicht der Kreml begangen. Väterchen Wladimir kann überhaupt kein Blut sehen, dem wird schon schwummrig, wenn sich eines der süßen ukrainischen Kinder, die täglich in den Kreml kommen, um sich für ihre Rettung aus den Baby-Gulags von Kiew zu bedanken, beim Versteckenspielen mit ihm das Knie aufschürft. Nein, die Mörder sitzen natürlich anderswo. Es waren entweder die NATO-Schergen des internationalen Großkapitals oder die ukrainischen Nazis – was aber praktisch ohnehin dasselbe ist.

Möglicherweise war es eine Bombe, die ein amerikanischer Agent gelegt hat, der seiner gerechten Strafe spätestens dann nicht mehr entgehen wird, wenn mit Donald Trump endlich wieder Vernunft und Verlässlichkeit ins Weiße Haus eingekehrt sind. Möglicherweise war es auch eine Flugabwehrrakete aus einer der berüchtigten westlichen Todesfabriken, abgefeuert von einem faschistischen Söldnerspeichellecker aus Kiew. Oder aber es war die feigste Variante von allen: Mord durch Unterlassung. Denn das bescheidene kleine Privatflugzeugchen, das sich der Anführer einer gemeinnützigen NGO wie der Wagner-Gruppe gerade noch leisten konnte, eine Embraer Legacy 600, konnte aufgrund der menschenrechtswidrigen Sanktionen des Westens leider nicht ordnungsgemäß gewartet werden. Ja, nicht einmal dringend benötigte Ersatzteile konnten beschafft werden. So war in der Unglücksmaschine schon seit Längerem die Toilettenspülung defekt – was aber einen harten Hund wie Jewgeni Prigoschin nicht weiter gestört hat. Auch die verstopfte Luftdüse bei Sitz 2B war verschmerzbar, außer bei touristischen Rundflügen in Syrien oder Mali, wo die Sonne doch etwas intensiver scheint als im ansonsten aber auch durchaus lieblichen Magnitogorsk. Aber nun hat sich die perfide Taktik der USA und der EU doch noch bezahlt gemacht, und das Flugzeug wurde vom Himmel geholt.

Es ist dies leider nur ein weiterer Mosaikstein in dem Martyrium, dem unsere Nation seit eineinhalb Jahren, also seit dem Beginn des brutalen Überfalls auf arglos auf der Krim oder in Donezk urlaubende Russen in Ausgehuniform, mehr oder minder schutzlos ausgeliefert ist. Die verzweifelten Friedensappelle aus dem Kreml verhallen nicht nur ungehört, sie werden mit hochgezogenen, hasstriefenden Lefzen höhnisch verlacht – außer in China, Nordkorea und dem Iran. Leider sind dies aber alles Länder, denen die westlichen Schurkenstaaten ebenso das Existenzrecht absprechen wie Russland.

Die ukrainischen Aggressoren hören nicht auf, unsere arglosen Söhne, die ihnen doch nur Blumen in die Gewehrläufe stecken wollen, mit Tod und Verderben zu überziehen – angefeuert und gesponsert von einer blutrünstigen Meute an westlichen Autokraten, deren Namen die Geschichte dereinst in einem Atemzug mit anderen Verbrechern gegen die Menschlichkeit wie Hitler, Hitler oder auch Hitler nennen wird. Und natürlich auch unterstützt von Medien wie diesem hier, die jegliche Standards freier und unabhängiger Berichterstattung – wie sie in Russland selbstverständlich sind – negieren. Und Sie? Sie lesen und glauben diese Lügen auch noch. Sie sollten sich was schämen. Und zum Ausgleich wenigstens ein russisches Kriegsopfer bei sich aufnehmen.

Aber bitte nur, wenn Sie in Kitzbühel wohnen.

Rainer   Nikowitz

Rainer Nikowitz

Kolumnist im Österreich-Ressort