Leitartikel: Christian Rainer

Christian Rainer Wahlkampfbereit

Wahlkampfbereit

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In 100 Tagen wird gewählt. „Der Countdown läuft“, titelt der ORF am Freitagnachmittag auf seiner Website. „ÖVP fixiert Bundesliste für Wahl“, liest man zeitgleich im ORF-Teletext. Am Tag zuvor habe Michael Spindelegger das Treffen der Europäischen Volkspartei in Wien als „Wahlkampfauftakt“ genutzt und sich zu diesem Zweck nur allzu gerne mit Angela Merkel gezeigt, schreibt eine Tageszeitung. Kanzler Werner Faymann wiederum habe versucht, dieses Treffen zu stören, indem er seinem Vize das „Vorantreiben der Finanztransaktionssteuer“ mit auf den Weg zu dessen Besprechungen gegeben habe, so ein anderes Blatt. Freitag um 14.16 Uhr schließlich kabelt das „Federalpressservice“ – vulgo Bundespressedienst – diese brisante Meldung: „Bundeskanzler Werner Faymann wird am 26. Juni 2013 um 8.00 Uhr gemeinsam mit Bundesministerin Claudia Schmied die Ganztagsvolksschule Neubau besuchen und Medienvertreterinnen und Medienvertreter über die Ausbaupläne der Bundesregierung zur schulischen Tagesbetreuung und zu verschränkten Ganztagsschulen informieren.“

Drei Monate vor den Nationalratswahlen – die Kampfhähne und die Kampfmaschinen sind in Stellung gebracht. Sogar Frank Stronach ist wieder mal im Lande beziehungsweise in der Küche und hat für einen Privatsender aufgekocht.
Gähn.

Wahlkampf also. Was hat man sich darunter vorzustellen? Vermutlich einen Rückblick auf die vergangenen fünf Jahre und allenfalls ein paar Versprechungen für die kommenden, das Ganze bei den Regierungsparteien mit Selbstlob und Seitenhieben auf den Koalitionspartner, bei der Opposition mit harter Kritik an allem, was da war und was sein wird.

Im konkreten Fall ist das gar nicht einfach. Eine Rückschau auf die ablaufende Legislaturperiode bietet keine Perspektive auf irgendetwas – auf irgendetwas nämlich, das als Politik im Sinne von aktivem Gestalten der Lebensverhältnisse in Erinnerung geblieben wäre. Vielmehr erscheinen diese Jahre geprägt durch: erstens Skandale, zweitens Krisenmanagement, drittens Peinlichkeiten.

Die Skandale haben kaum mit der aktuellen Regierung zu tun, wenden sich massiv gegen zwei Oppositionsparteien, in Maßen auch gegen die ÖVP. Denn die einschlägigen Schlagzeilen bezogen sich meist auf Erbmasse aus der schwarz-blauen Regierungsperiode nach dem Jahr 2000. Das gilt für das Umfeld von Karl-Heinz Grasser, für die Beschaffungsvorgänge im Innen-
ministerium, für Alfons Mensdorff-Pouilly, für die Telekom und für die Hypo Alpe-Adria. Bei der Hypo, die uns noch viele Jahre beschäftigen wird und im Gegensatz zu den anderen Vorfällen über den moralischen Crash hinaus gigantischen wirtschaftlichen Schaden angerichtet hat, kommt hinzu, dass der Hauptschuldige Jörg Haider tot ist. Wie es aussieht, machen die Österreicher seine Nachfolger und Nachfolgeparteien für dieses Desaster nicht verantwortlich, jedenfalls nicht auf Bundesebene; in anderen Staaten wären Parteien wie FPÖ und BZÖ gemeinsam mit der Bank untergegangen.
Zweitens, das Krisenmanagement: Die vergangenen Jahre waren in Europa von der Eurokrise und den zugehörigen Beinahepleiten einiger EU-Mitglieder dominiert. Da nimmt es nicht wunder, dass auch in Österreich so gut wie kein anderes Thema von Gewicht auf die Tagesordnung kam. Und ja – es wäre vermessen zu erwarten, dass sich Faymann oder Spindelegger in diesem Zusammenhang europaweit besonders profiliert hätten. Ist für ein kleines Land einfach nicht drinnen. Sollte also fairerweise auch kein Totschlagargument im Wahlkampf sein.

Drittens, die Peinlichkeiten. Davon gab es genug, und sie bleiben deutlich in Erinnerung. Zuletzt der Abzug der Soldaten vom Golan: Hatten Faymann und Alfred Gusenbauer vor geraumer Zeit noch einen unwürdigen Brief an den Herausgeber der „Kronen Zeitung“ geschrieben, durch den sie dessen Haltung zur Europäischen Union zur Staatsdoktrin machten, so ging ein ähnlicher, die Vox Populi und deren Speichellecker abbildender Brief dieses Mal gleich ins UN-Hauptquartier. Schande! Weiters peinlich in Erinnerung: Maria Fekter bei diversen Auftritten auf dem internationalen Parkett. Und peinlich, aber im Ergebnis zugleich auch ein Verbrechen an der Jugend des Landes: die Volksbefragung zur Wehrpflicht.

Blieb angesichts der Finanzkrise tatsächlich kein Raum für politisches Handeln? Doch. Wäre etwa in der Bildungspolitik ohne finanziellen Aufwand möglich gewesen, ist aber verschleppt und verhunzt worden. Durch eine Verwaltungsreform hätte man sogar mittelfristig finanziellen Spielraum schaffen können, ist auch nicht passiert. Das Pensionsalter wurde nicht verändert, obwohl die Menschen immer länger leben, selbst das niedrigere Frauenrentenalter blieb unangetastet – wird sich alles rächen.

Womit wir bei der Zukunft sind: Wetten, dass keines der zuletzt genannten Themen im Wahlkampf auftauchen wird? Dabei klingen „Lehrerlebensverdienstkurve“, „Föderalismusreform“ und „Regelpensionsalter“ doch richtig sexy.

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