Gastkommentar

Nikolaus Forgó: Warum Edtstadlers Aktenzitierverbot Unsinn ist

Die ÖVP-Verfassungsministerin will Medien nach deutschem Vorbild beschränken, um Beschuldigtenrechte zu stärken. Sie sollte sich mit der dortigen Rechtslage intensiver beschäftigen.

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Rechtspolitische Diskussionen gleichen einer Treppe. Erstens ist es üblich geworden, dass Regierungspolitiker:innen nicht mehr einen diskutablen Gesetzesvorschlag präsentieren und diskutieren lassen, sondern stattdessen Wunschvorstellungen per Presseaussendung oder Interview kommunizieren. Dabei wird zweitens gerne darauf hingewiesen, dass das, was man will, irgendwo anders – am besten in Deutschland oder in der EU – besonders gut oder besonders schlecht schon umgesetzt ist. Drittens bricht dann unter Jurist:innen Grübeln aus, was gemeint sein könnte und wie eine Umsetzung vor dem Verfassungsgerichtshof und den europäischen Gerichten Bestand haben könnte. Was aber, viertens, meistens „eh wurscht“ ist, weil je nach politischer Großwetterlage der konkrete Gesetzesvorschlag entweder ohnehin wieder vergessen oder so spät vorgelegt und so schnell durchs Parlament gepeitscht wird, dass jede differenzierte fachliche Auseinandersetzung zu spät kommt. Und schließlich, fünftens, werden diese Gesetze dann oft – im Medienrecht in letzter Zeit besonders oft – von VfGH oder EuGH als rechtswidrig erkannt.

Auch Verfassungsministerin Karoline Edtstadler begibt sich jetzt auf diese Medienfestspieltreppe: Im profil fordert sie: „Ich will das Zitierverbot im Strafgesetz verankern – nach deutschem Vorbild.“ Und: „Laut einer Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts ist das Zitierverbot grundrechtskonform.“

Das stimmt aber nicht. Es gibt in Deutschland kein Zitierverbot. Und daher auch keine Entscheidung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, dass dieses grundrechtskonform wäre.

Was es gibt, ist ein Straftatbestand – § 353d Ziffer 3 dStGB[NF1]. Demzufolge kann mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr bestraft werden, wer „die Anklageschrift oder andere amtliche Dokumente eines Strafverfahrens […] ganz oder in wesentlichen Teilen im Wortlaut öffentlich mitteilt, bevor sie in öffentlicher Verhandlung erörtert worden sind“. Wie man also unschwer erkennen kann, greift das Verbot nur bei einer Wiedergabe des gesamten Dokuments oder zumindest wesentlicher Teile. Exzerpte sind erlaubt. Außerdem sieht man, dass das nur für amtliche Dokumente gilt– die Wiedergabe privater Aufzeichnungen ist erlaubt, selbst wenn sie für ein Strafverfahren beschlagnahmt wurden (wie etwa Chats). Weiters ist nur die öffentliche Wiedergabe verboten – das Tuscheln in Hinterzimmern bleibt erlaubt. Und schließlich muss „im Wortlaut“ wiedergegeben werden – Zitate in indirekter Rede sind möglich.

Das ist also insgesamt das Gegenteil eines Zitierverbots – und heißt mit gutem Grund auch nicht so.

Es gibt (mindestens) zwei, nicht eine, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts dazu. Die stammen aus 1985 und 2014 – und konnten damit altersbedingt die steigende Bedeutung „authentischer“ Dokumente in Zeiten von Fake News und Social Media nicht vorhersehen. Sie konnten auch jüngere, gegenteilige Judikatur des Bundesgerichtshofs nicht kennen. Und sie berücksichtigen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) nicht. Der hat längst entschieden, dass die Verurteilung von Journalist:innen wegen der bloßen Veröffentlichung amtlicher Dokumente der EMRK widerspricht. Die EMRK ist in Österreich im Verfassungsrang, die Entscheidungen sind bindend.

In welches Schlamassel das deutsche Vorbild im Übrigen führt, kann man dort gerade an einem Fall beobachten. Der Journalist Arne Semsrott riskiert wissentlich eine Freiheitsstrafe, weil er – anonymisiert! – amtliche Dokumente ins Netz gestellt hat. Er kann aber nur so thematisieren, worauf es ihm ankommt: ob nämlich – und wie – der Staat Mitglieder der „Letzten Generation“ zu Unrecht als Angehörige einer „kriminellen Vereinigung“ kriminalisiert und sie dadurch zu Unrecht mit der Mafia gleichgesetzt hat.

Alle aufgeworfenen Fragen zum Tatbestand und zur Verfassungswidrigkeit sind interessant. Sie werden gleich noch viel „spannender“, wenn die Beantwortung derselben für Journalist:innen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr einhergehen kann. Wer würde bestreiten, dass Semsrotts Thema wichtig ist? Wer aber hätte hierzulande seinen Mut?

Kann man der Verfassungsministerin unterstellen, in solchen Fällen Selbstzensur in Kauf zu nehmen oder gar zu wollen? Wir werden sehen, wie sich Stufe vier dieses Vorhabens entwickelt.