Mario Holzner ist Leiter des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw).
Gastkommentar

Österreich als Osteuropas Industrie-Inkubator

Im Wettstreit mit China und den USA braucht Europa Gemeinschaftsunternehmen in strategischen Schlüsselindustrien – wie einst Airbus. Österreich könnte sie in Ostmitteleuropa vorantreiben. Ein Gastkommentar von Ökonom Mario Holzner.

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Lange galt sie als gescheitertes Konzept. Im Zuge von Klimakrise, Ukraine-Krieg, Lieferkettenunterbrechungen und dem geopolitischen Konflikt zwischen China und den USA feiert sie nun aber ein Comeback: die Industriepolitik. Besonders bei grünen Technologien und Mikrochips findet gerade ein industriepolitisches Wettrüsten zwischen Washington und Peking statt. Europa hat dem nur wenig entgegenzusetzen und reagiert vergleichsweise spät und zaghaft. Während China und die USA klotzen, kleckert die EU.

Was es daher braucht, ist ein gesamteuropäischer Ansatz zur Schaffung von Vorzeigeunternehmen in Schlüsselindustrien, die auch über die kritische Masse verfügen, um es mit Konkurrenten aus China und den USA aufzunehmen. Das Vorbild ist dabei Airbus. Dem von der Politik initiierten europäischen Luft- und Raumfahrtkonzern ist es nicht nur gelungen, das amerikanische Monopol bei Verkehrsflugzeugen aufzubrechen und zum größten Hersteller der Welt aufzusteigen. Airbus etablierte auch eine hochmoderne Rüstungs- und Raumfahrtsparte, die den Europäern zum ersten Mal eine gewisse Unabhängigkeit in diesem Bereich erlaubte. Angesichts des Ukraine-Krieges kann diese Leistung gar nicht hoch genug bewertet werden.

Ein Airbus für die Schiene

Naheliegend wäre in Europa die Schaffung eines Airbus für Hochgeschwindigkeitszüge oder im Schiffbau. Bestrebungen in diese Richtung gab es, allerdings scheiterte etwa der Zusammenschluss der Bahnsparten von Siemens und Alstom an den Wettbewerbshütern in Brüssel. Die Reform des europäischen Wettbewerbsrechts ist daher eine Conditio sine qua non für eine neue europäische Industriepolitik.

Gerade die ostmitteleuropäischen EU-Mitglieder würden von ihr enorm profitieren. Ihr bisheriges Wachstumsmodell als „verlängerte Werkbank“ westlicher Konzerne stößt zunehmend an seine Grenzen. Österreich könnte dabei im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der sogenannten Drei-Meere-Initiative eine Schlüsselrolle spielen. Diese strebt die Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ostsee, Adria und Schwarzem Meer an. Ihr gehören alle EU-Mitglieder der Region einschließlich Griechenlands an. Gerade Österreich mit seinen traditionell sehr engen Beziehungen zu Ostmitteleuropa, das gleichzeitig zum politischen und wirtschaftlichen Kern der EU gehört, wäre in einer idealen Position, um als Inkubator einer europäischen Industriepolitik in den EU-Mitgliedsländern Ostmitteleuropas aufzutreten.

Österreich hätte das institutionelle Potenzial, um eine regionale Politikabstimmung für die EU-Ebene voranzubringen. Das Ziel müsste dabei sein, den Ostmitteleuropäern mehr politisches Gewicht in Brüssel zu verleihen, um auf ihre speziellen Bedürfnisse einzugehen. Wie bei Airbus beträfe die heikelste Frage wohl die Produktionsstandorte. Da der Großteil dieser Länder weder über föderale Strukturen noch über einen voll ausgebauten Sozialstaat verfügt, sollten vor allem strukturschwache Gebiete zum Zug kommen. Andernfalls droht ein weiteres Auseinanderdriften zwischen den ökonomischen Zentren und der Peripherie. Großbritannien ist ein abschreckendes Beispiel dafür, wie die Deindustrialisierung politischem Populismus Auftrieb verlieh, der schließlich im EU-Austritt des Landes gipfelte.

Österreich müsste sich auch um die Finanzierung einer neuen europäischen Industriepolitik kümmern. Angesichts der vielen hundert Milliarden, die Peking und Washington dafür aufwenden, braucht es eine Aufstockung des EU-Budgets von bisher rund einem Prozent auf zumindest drei oder vier Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Vorschläge für die Finanzierung eines größeren EU-Haushalts liegen zur Genüge auf dem Tisch. Diese reichen von eigenen EU-Steuern über gemeinsame Anleihen aller EU-Mitglieder bis hin zu EU-Bonds, die die EZB nach einer Änderung der Verträge zum Großteil selbst aufkaufen könnte. Den entsprechenden politischen Willen vorausgesetzt, sollte eine adäquate Dotierung also machbar sein.

Genau das – die Schaffung des gemeinsamen politischen Willens für eine europäische Industriepolitik unter Austarierung der verschiedenen Bedürfnisse in Ostmitteleuropa – wäre für Österreich eine große Chance, sich als starker europapolitischer Akteur zu positionieren. Sie läge im ureigensten Interesse des mit der Region so eng verflochtenen Landes.

Die Langfassung dieses Texts erscheint am 28. Februar im Buch „Europa neu gedacht. Wie ein aktives Österreich zu einem starken Europa beitragen kann“ der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik im Czernin Verlag.

Zur Person

Mario Holzner ist Direktor des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw) und war 2023 Fellow der Generaldirektion Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU (DG GROW) der Europäischen Kommission.