„Politische Pensionsentscheidungen“ wären besser als eine „Automatik“ – wenn Pensionisten nicht die größte Wählergruppe darstellten

Peter Michael Lingens: Pensionspolemik

Pensionspolemik

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Die jüngsten Prognosen der Statistik Austria sorgten für Gesprächsstoff: Am spektakulärsten hörte sich zweifellos an, dass Österreichs Bevölkerung schon 2024 die Neun-Millionen-Grenze überschreiten und bis 2060 sogar auf 9,6 Millionen anwachsen wird, weil die Zuwanderung stärker als angenommen ausfällt.

„Zuwanderer werden die Pensionen finanzieren“, titelte der „Kurier“ wohl in Hinblick auf Heinz-Christian Straches Forderung nach einem „Zuwanderungsstopp“.

Tatsächlich stärkt die Zuwanderung Österreichs wirtschaftliche Position im Verhältnis zu zuwanderungsschwachen EU-Ländern beträchtlich: Die Ausbildungskosten, voran der größten Zuwanderungsgruppen – Deutsche, Ex-Jugoslawen – trug meist schon das Herkunftsland, und jeder berufstätige Zuwanderer füllt die Pensionskassen auf.

Unterdurchschnittlich berufstätig sind nur muslimische Zuwanderer, weil die Frauen überdurchschnittlich häufig zu Hause bleiben. Und insgesamt ist die Arbeitslosigkeit in der zweiten Zuwanderer-Generation größer als in der ersten, weil sie unterdurchschnittlich ausgebildet ist. Daher die Dringlichkeit erfolgreicherer Integration, wenn die Zuwanderung optimal genutzt werden soll.

Mittel- und langfristig ist die Vorstellung, dass Zuwanderung die Pensionen sichert, freilich trügerisch. Die Bevölkerung Österreichs und der anderen EU-Länder steigt nur kurzfristig – mittel- und langfristig schrumpft sie, weil die Geburtenrate von 1,5 Kindern im EU-Durchschnitt und 1,4 in Österreich weit unter der Reproduktionsrate liegt.

Das aktuelle Wachstum ist ausschließlich auf die Zuwanderung und die höhere Lebenserwartung zurückzuführen. Schon ab 2020 werden in Österreich mehr Menschen sterben, als nachkommen. Und schon dann werden vor allem mehr Menschen in die Pension wechseln, als Schul- und Hochschulabsolventen in den Arbeitsmarkt eintreten.

„Regierung wiegt Österreicher in falscher Sicherheit“, überschreibt „Die Presse“ daher ihren Pensionsbericht und konzentriert sich auf folgende Daten: Bis 2060 wird die Zahl der Österreicher über 65 Jahren von derzeit 1,5 auf 2,8 Millionen ansteigen. Und ihr wird eine immer kleinere Gruppe im berufsfähigen Alter (20 bis 65 Jahre) gegenüberstehen: Kommen derzeit auf einen Pensionisten 3,4 Beschäftigte, so werden es 2060 vermutlich nur mehr 1,8 sein. „Vermutlich“, weil niemand ganz genau vorhersehen kann, wie sich die Zuwanderungs-, die Geburten- und die Beschäftigtenrate im Detail entwickeln. Im Großen und Ganzen ist freilich unbestreitbar: Eher weniger Beschäftigte werden mehr Pensionisten durch deutlich mehr Lebensjahre finanzieren müssen.

Daraus leitet nicht nur Reinhold Mitterlehner ab, dass die Beschäftigten länger arbeiten oder aber höhere Pensionsabschläge in Kauf nehmen müssten. In seiner jüngsten ORF-„Pressestunde“ regte er daher an, die Pensionsbedingungen durch einen automatischen Mechanismus an die Lebenserwartung zu koppeln. Dasselbe forderte Wilhelm Molterer schon 2008 und nahm die Weigerung der SPÖ zum Anlass für Neuwahlen – die er prompt verlor. Diesen Erfolg hat die SPÖ nicht vergessen: Werner Faymann nannte Mitterlehners-Ansinnen „zynisch“ – die ÖVP wolle die Österreicher um ihre berechtigten Pensionsansprüche bringen.

Nicht ganz so polemisch Sozialminister Rudolf Hunds-torfer: Die Politik, nicht ein Automatismus sollte die Pensionen bestimmen.

Theoretisch ist das richtig: Keine Automatik kann der jeweiligen Entwicklung und ihren Notwendigkeiten präzise gerecht werden. So stiege die Zahl der Beschäftigten zum Beispiel erheblich, wenn sich die Rate berufstätiger Frauen – derzeit nur 65 Prozent – erhöhte. Schon mehr Kindergärten könnten Geburtenrate wie Berufstätigkeit steigern. Und wie viele Beschäftigte notwendig sind, um das derzeitige Pensionsniveau zu sichern, hängt natürlich entscheidend von ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ab: Ein Produktivitätszuwachs von 0,7 Prozent pro Jahr ergibt eine völlig andere Rechnung als einer von 1,8 Prozent. Nicht zuletzt fragt sich, wie groß der Beitrag der Arbeitgeber zu den Pensionen sein soll und kann – womit wir bei der Debatte um „Verteilungsgerechtigkeit“ wären.

Es wäre also zweifellos das Beste, wenn Fachleute die
Politiker zwar berieten, diese aber sehr wohl politisch entschieden.
Praktisch sieht die Situation freilich anders aus: Politiker haben es unendlich schwer, Pensionsfragen nach bestem Gewissen zu entscheiden – denn Pensionisten stellen schon jetzt die größte Wählergruppe dar.

Wer immer, wo immer erklärt, man müsste später in Pension gehen oder höhere Abschläge in Kauf nehmen, kann einer Wahlniederlage so gut wie sicher sein. (Nicolas Sarkozy dankte seine Erdrutschniederlage vor allem der Anhebung des gesetzlichen Pensionsalters auf 62 Jahre.)

Deshalb hat die EU ihren Mitgliedern meines Erachtens zu Recht empfohlen, eine Pensionsautomatik einzuführen, die dieses Risiko für die Politiker eliminiert: Sie stellte automatisch sicher, dass das Pensionssystem zumindest nicht entgleist. Bessere Lösungen könnten von Fall zu Fall immer noch gefunden und politisch beschlossen werden.

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