Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Blau – die Farbe der Korruption

Blau – die Farbe der Korruption

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Ich dürfte einer der wenigen sein, die Wolfgang Schüssel abnehmen, dass er keine Ahnung von der ihn umgebenden Korruption hatte (auch wenn mir das aufgrund der ­abgehörten Eurofighter-Lobbyisten schwerer als noch vor einer Woche fällt).

Ich halte ihn für zu ehrgeizig, zu intelligent und zu ­katholisch, um Korruption bewusst in Kauf zu nehmen.

Aber ich fürchte für ihn und die ÖVP, dass die Mehrheit das anders sieht.
Und ich gestehe Sven Gächter zu, dass er logisch argumentiert, wenn er vorige Woche schrieb: „Wenn er (Schüssel) von all den Machinationen in seinem unmittelbaren Umfeld nichts mitbekam, war er rückblickend betrachtet ein katastrophal fahrlässiger Regierungschef; wenn er die windigen Akteure gewähren ließ, solange sie es vordergründig nicht zu ungeniert trieben, war er ein noch skrupelloserer Machtstratege, als selbst seine ärgsten Feinde ihm bisher nachsagten.“

Vorerst glaube ich dennoch an eine dritte Möglichkeit: Schüssels extremer Ehrgeiz ließ ihn alles, was er wahrgenommen haben könnte, sofort verdrängen. Schließlich erfuhr er ­jedenfalls, dass Grasser sich von der Industriellenvereinigung 175.000 Euro für eine lächerliche Homepage überweisen ließ, und selbst wenn weder Justiz noch Finanz das unzulässig fanden, war es doch zweifellos kein Hinweis auf ­extreme Unempfänglichkeit.

Mit Andreas Koller von den „Salzburger Nachrichten“ halte ich es für Schüssels ersten „Sündenfall“, sich dennoch hinter den populären KHG gestellt zu haben.

Trotzdem meine ich, dass Schüssel einen differenzierten Nachruf verdient: Nicht ausschließlich Ehrgeiz, sondern auch ehrlicher Wende-Wille hat ihn getrieben, sich gegen sein Wahlversprechen von der FPÖ zum Kanzler machen zu lassen. Und dem Risiko dieser kleinen Koalition (das – und das wird zur Linken immer verdrängt – davor auch die SPÖ eingegangen ist) stand sehr wohl auch eine Chance gegenüber, die Schüssel erfolgreich wahrgenommen hat: Er hat Jörg Haider entzaubert, die FPÖ halbiert und (ohne es zu wollen) vorgeführt, wie regierungsunfähig sie ist.

Erst dass er ein zweites Mal mit ihr koalierte, halte ich für seinen entscheidenden Sündenfall: Er hat – ihm günstigsten Fall – nicht begriffen, wie schlimm es ist, das Land noch einmal Kalibern wie Hubert Gorbach auszuliefern.

Nach wie vor halte ich auch Schüssels Pensionsreform für zwingend und seine Privatisierungen für dringend: Selbst die Telekom ist heute – trotz des aktuellen Skandals – ein besseres Unternehmen. Dass man Privatisierung völlig von Korruption frei halten kann, glaubt kein Wirtschaftskundiger – nicht einmal in Deutschland war das möglich. Dass es freilich derart dick gekommen ist, hängt mit der FPÖ zusammen.

Ich möchte dazu wieder einmal eine der Geschichten erzählen, mit denen ich aufgewachsen bin: Im KZ pflegte die jeweilige „Blockälteste“ fast durchwegs zu stehlen – etwas Essbares, eine Jacke, eine Zahnbürste, die das Überleben etwas leichter machten. Irgendwann wurde es den anderen Häftlingen zu bunt, und sie forderten ihre Absetzung. Nur meine Mutter widersprach: „Lassts es, Kinder. Die hat schon g’stohlen, die Nächste muss erst stehlen.“

Als die SPÖ 1970 erstmals an die Macht kam, ließen Korruptionsaffären nicht lange auf sich warten – ich bin davon ausgegangen, dass es bei der FPÖ nicht anders sein würde. Nur etwas schlimmer.

Diese Vermutung hängt einmal mehr mit den Erfahrungen meiner Mutter, aber auch meiner Tätigkeit bei Simon Wiesenthal zusammen: Selbst der Mord an Österreichs Juden war für die meisten Täter vor allem Raubmord – sie wollten ihre Wohnungen, ihr Geld und ihr Gold. Und nie war auch die allgemeine Korruption größer als zu Zeiten der ­NSDAP: Nicht umsonst hießen ihre Funktionäre „Goldfasane“. Hinaufgekommen waren ebendiese Funktionäre mit dem Schlachtruf, dass sie die Korruption der „Altparteien“ ausrotten würden.

Sooft ich Jörg Haider gegen die „Korruption“ von ÖVP und SPÖ wettern gehört habe, war ich überzeugt (und habe es immer wieder geschrieben), dass die FPÖ die beiden „Altparteien“ darin übertreffen würde.

Nicht, dass ich Ernst Strasser vergessen habe, aber von den vier Ministern, die derzeit die „Unschuldsvermutung“ strapazieren, stammen immerhin drei – Hubert Gorbach, ­Mathias Reichhold und Karl-Heinz Grasser – aus der FPÖ; Uwe Scheuch war ihr Generalsekretär, Peter Hochegger und Walter Meischberger waren ihre Strategen.

Ich glaube, dass diese Partei zwar viele zufällige Wähler, aber nur ganz wenige zufällige Funktionäre hat: Die wissen – im Gegensatz zu Protestwählern –, dass sie einer Partei dienen, die sich nie von den Verbrechen des NS-Regimes distanziert hat, und dienen ihr dennoch. Das erfordert massive Verdrängung – oder gewaltigen Zynismus.

Es gibt die Aussage von Willibald Berner, dem Ex-Kabinettschef des FP-Infrastrukturministers Michael Schmid, dass bei einem Arbeitsfrühstück mit dem Lobbyisten Peter Hochegger ein „Masterplan“ entworfen worden sei, auf welche Weise die blauen Minister bei der Privatisierung mitverdienen können. Ich hege wenig Zweifel, dass es so war.

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