Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Blößen am Rande

Blößen am Rande

Drucken

Schriftgröße

Gegen Ende einer „Pressestunde“, in der er sich als Finanzminister keine Blöße gegeben hatte, wurde Josef Pröll gefragt, warum die ÖVP nach wie vor die Abwahl von Martin Graf als Drittem Präsidenten des Nationalrats verhindert. Prompt geriet der ÖVP-Chef ins Schwimmen: An Grafs Karriere, so suchte er durchzutauchen, trügen SPÖ und Grüne Schuld, weil sie ihn zum Vorsitzenden des parlamentarischen Banken-Ausschusses bestellt hätten. Damit habe man ihn auch als Dritten Präsidenten des Nationalrats akzeptieren müssen. Den Einwand, dass doch ein gewisser Unterschied zwischen einem Ausschussvorsitz und dem zweithöchsten Amt der Republik bestünde, überhörte er.

Aber natürlich müssen SPÖ und Grüne sich die Frage gefallen lassen, warum sie Graf bestellt haben. Nur dass die Antwort neuerlich zulasten der ÖVP ginge: weil Grafs Vorsitz im Banken-Ausschuss eine Bedingung der FPÖ gewesen ist, die Grüne und SPÖ erfüllen mussten, um den Ausschuss gegen die damals regierende ÖVP durchzusetzen. Prölls nächstes Argument lautete wie gehabt, dass er keine „Anlassgesetzgebung“ wünsche. Das hatte endlich Hand und Fuß: Es hat aus der Geschichte heraus Sinn, dass ein Präsident des Nationalrats schwer abzusetzen ist.

Nur dass der schwarze Peter damit endlich dort landet, wo er hingehört: mitten im Parlament. Schlimm ist nicht in erster Linie, dass Martin Graf jetzt nicht abgewählt wird, sondern dass ein Mann seines Zuschnitts jemals zum Dritten Präsidenten gewählt werden konnte. In Wirklichkeit ist nicht nur Graf, sondern ist jeder einzelne Abgeordnete, der für ihn die Hand gehoben hat, eine Zumutung und sollte für einen anständigen Menschen nicht mehr wählbar sein. Denn der Inhaber eines „freien Mandats“, der es mit seinem besten Wissen und Gewissen vereinen konnte, einen Mann in eines der höchsten Ämter der Republik zu wählen, der einer rechtsradikalen Burschenschaft angehört und für sie als „Saalschutz“ tätig war, verdient es nicht, im Parlament zu sitzen. Es ist das zentrale Problem dieses Parlaments, dass es dann fast leer wäre.

Zu Ende derselben „Pressestunde“ war Pröll stolz darauf, dass die ÖVP mit Wilhelm Molterer, Wolfgang Schüssel, Ursula Plassnik und Benita Ferrero-Waldner gleich vier qualifizierte Kandidaten für das Amt eines EU-Kommissars besäße. Sofern es ein Kommissar mit wirtschaftlichen Befugnissen wäre, scheint mir die Erwähnung Wilhelm Molterers kühn.

Soeben hat die Wettbewerbskommissarin der EU wissen lassen, dass sie den 500-Millionen-Zuschuss zum Verkauf der AUA nicht ohne Weiteres akzeptieren will, womit dieser Verkauf neuerlich am seidenen Faden hängt. Das wird hierzulande zwar „Brüssel“ die letzten Sympathien kosten, aber eigentlich sollte es jene Herren endgültig von Spitzenpositionen in der Wirtschaft ausschließen, die das AUA-­Debakel zu verantworten haben: voran Ex-Finanzminister Molterer, dahinter Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer und ÖIAG-Chef Peter Michaelis. Die AUA, die vor dem Eingreifen dieser Herren ein Wertgegenstand war, wurde durch sie zum Mühlstein. Ein wichtiges Argument für das jahrzehntelange Hinauszögern des Verkaufs der Fluglinie war die Auslastung des Flughafens Schwechat: Nur eine nationale AUA sichere dessen Zukunft. Genau so sieht diese Zukunft jetzt aus: Der „Skylink“ dürfte etwa das Vierfache dessen kosten, was er kosten dürfte, und es ist fraglich, ob das Aufsperren lohnt.

Das Management ist seiner Aufgabe seit Jahrzehnten nicht gewachsen.
Das wieder ist, wie bei der AUA, eine zwingende Folge der Eigentumsverhältnisse: Kernaktionäre der Betriebsgesellschaft sind bekanntlich die Länder Niederösterreich und Wien, und wann immer dort ein „verdienter“ politischer Funktionär für nichts Besseres zu gebrauchen war, erhielt er eine wirtschaftliche Spitzenfunktion bei der Flughafenbetriebsgesellschaft, um dort noch einmal richtig zu verdienen.
In einem sparsamen Staatswesen (das diese Sparsamkeit in Zeiten wie diesen unter Beweis stellen wollte) müsste ein seriöser Finanzminister die Flughafenbetriebsgesellschaft daher sofort privatisieren.

PS: Bei mir ist eine Todesanzeige für „Dr. Klothilde Eckbrecht-Dürckheim-Montmartin, Oberlandesgerichtsrat i. R.“ eingegangen. Sie trug keinen Absender und nannte keine trauernden Hinterbliebenen. Leser des profil der siebziger und achtziger Jahre sollten ein wenig mit mir um die mit 69 Jahren an Krebs Gestorbene trauern: Als Staatsanwältin und später Untersuchungsrichterin nahm sie sich in der Ära Broda als weitgehend Einzige diverser großer, von profil aufgedeckter Affären zwischen Politik und Wirtschaft an, an deren Klärung die Staatsanwaltschaft Wien ansonsten ein verblüffend geringes Interesse zu haben schien. Als sie diverse Weisungen öffentlich machte, mit denen der Leiter der Staatsanwaltschaft Otto F. Müller in Verfahren eingegriffen hatte, erntete sie ein Disziplinarverfahren.

Zur Linken entsprechend unbeliebt, aber deshalb zur Rechten keinesfalls sonderlich geschätzt, galt sie auch ihren Kollegen als „schwierig“: saß nie mit ihnen, aber immer öfter alleine, vor einem Glas Wein, hatte weder Familie noch Freunde und kannte nichts als ihre Arbeit. Darin, in der unparteilichen Suche nach Recht und Gerechtigkeit, ließ sie sich von nichts und niemandem be­irren. Sigmund Freud hätte sie wohl unter die Menschen gereiht, die „den kulturellen Wert der Neurose“ beweisen.

[email protected]