Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Elend der jungen Musiker

Das Elend der jungen Musiker

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Nachdem Helmut Gansterer gleich zweimal eine Lanze für den Konsum klassischer Musik gebrochen hat, ­riskiere ich es, eine Lanze für diejenigen zu brechen, die klassische Musik produzieren: Allenthalben in steinreichen Ländern, darunter Österreich, laufen tausende begnadete Interpreten klassischer Musik an der Armutsgrenze herum. Das sollte einer „Kulturnation“ unerträglich sein. Zumal es zu den wenigen Problemen zählt, die einfach zu lösen wären – wenn man es wollte. Zur Zeit meiner ersten profil-Leitartikel wäre ich mit diesem Hinweis Partei gewesen: Da hatte meine Frau gerade das Konservatorium und erste Auftritte hinter sich und stand vor der Frage, ob sie eine Karriere als Pianistin versuchen oder im Sinne ihrer Eltern doch einen „Brotberuf“ ­erlernen sollte.

Sie tat das Zweite, wurde Juristin und bedauert ihre Entscheidung bis heute. Wirtschaftlich freilich war sie richtig. Es gibt, wenn man nicht Bar-Pianist oder Musiklehrer sein will, auch für einen exzellenten Pianisten nur gerade eine Hand voll Möglichkeiten, vom Klavierspielen zu leben. Erst seit meine Frau das nicht mehr muss, gibt sie in Spanien wieder Konzerte und hat die „Hausmusik Marbella“ ins Leben gerufen: Wir laden junge Musiker zu Auftritten ein, die dank unseres großen Wohnzimmers und kleiner Unkostenbeiträge unserer Gäste mit erträglichen Verlusten enden. Seither weiß ich, wie unglaublich schlecht es unglaublich guten jungen Musikern geht.

Ich möchte es, weil es ein europäisches Phänomen ist, am Beispiel eines 23-jährigen Italieners namens Vincenzo Maltempo illustrieren. 2007 hat er sein Studium für Klavier und Komposition summa cum laude abgeschlossen, und wir haben ihn zufällig in Venedig gehört, wo er gerade einen Wettbewerb gewonnen hatte. Auf seinem Programm standen u. a. Schumanns „Kreislerianer“, die wir knapp vorher von Rudolf Buchbinder und vor allem Till Fellner gehört hatten. Maltempo spielte sie aufregender – und um Klassen besser als etwa Lang Lang.

Das ist eine andere Seite des Phänomens: Es gibt auch die „Stars“, die trotz „klassischer Musik“ Millionen ver­dienen. Aber als Ausnahme von der Regel: Lang Lang ist ein perfekter Name, Daniel Barenboim ist ein grandioser Vermarkter, und China ist in. Also füllt Lang Lang im Las-Vegas-Klavierstil nicht nur die Konzertsäle, sondern große Konzerne reißen sich darum, seine Auftritte zu sponsern. Als ich bei der Bawag und der Ersten angeklopft habe, ­ob sie vielleicht ein paar hundert Stück einer neuen ­Mal­tempo-CD als Weihnachtsgeschenke ankauften, war ich chancenlos. Letztlich hat der Tontechniker, der sie aufgenommen hat, aus Begeisterung auf sein halbes Honorar verzichtet, und die Gramola, die sie herausbringt, ist mit den Konditionen entgegengekommen: Mit einem, der zwar viel besser, aber kein „Star“ ist, ist kein Musik-Geschäft zu machen.

Das alles wussten wir nicht, als wir Maltempo in Venedig 1000 Euro Gage für eines unserer Hauskonzerte anboten – wir hielten für ausgeschlossen, dass er für so wenig so weit reisen würde. Bis er uns sagte, dass er noch nie so viel verdient hat. Mit dem Ende seines Studiums hat auch sein Stipendium geendet, und damit ist er einer von zahllosen grandiosen jungen Musikern, die so gut wie keine Chance auf „Arbeit“ haben. Statt an „Schulungen“ des AMS nimmt er an „Wettbewerben“ teil. Die großen sind mit drei-, viertausend Euro für die ersten drei verbunden – davon vegetiert er.

Eine Ausnahme ist Monte Carlo: Dort gibt es 30.000 Euro – aber nur für den Ersten. Also kämpfen die Besten der Besten unter den Jungen im wahrsten Sinne des Wortes um ihr Leben. Maltempo ist unter den letzten acht – „aber leider ist ein sehr, sehr guter 30-jähriger Landsmann dabei, den die Juroren schon länger kennen“. Von seinen Konzerten kann auch der „sehr, sehr gute“ 30-Jährige nicht leben. Im selben Monte Carlo wird ein Tennisturnier ausgetragen, das mit 2,5 Millionen Euro dotiert ist. Denn Tennis wird im Fernsehen übertragen und bringt daher Geld. Klassische Musik überträgt vor allem Radio Stephansdom – dem entsprechen die Einnahmen der Interpreten.

Was ich hier fürs Klavier beschreibe, gilt für alle Ins­trumente. Zwar können die öffentlich finanzierten Orchester natürlich ungleich mehr Geiger als Pianisten aufnehmen, aber es kommen eben auch mehr Geiger von den Konservatorien. Das Problem der Musiker-Arbeitslosigkeit ist im Wege öffentlich finanzierter Orchester oder Konzerte nicht zu ­lösen. Sondern nur im Wege von „Hausmusik“: Es muss wieder, wie zu Zeiten Schuberts, zum guten Ton gehören, ein paar Mal im Jahr Musiker zu sich nach Hause einzuladen, um uns mit Gansterer „vom Dunklen ins Helle zu heben“.

Da unsere „Hausmusik“ in Spanien spielt, bin ich nicht „Partei“, wenn ich anrege, dass der Finanzminister anlässlich der Steuerreform dazu beitragen könnte: indem er jedem Bürger gestattet, einen bestimmten Promillesatz seines Jahreseinkommens zu Zwecken wie diesen – aber etwa auch für den Ankauf von Bildern – von der Steuer abzusetzen. Was dem Staat dadurch an Steuer entginge, könnte er an traditioneller Förderung dieser Bereiche einsparen: Er verlagerte nur Teile seiner Kulturförderung aus den Händen von Beamten in die Hände von Privaten. Freilich mit einem – gerade in Zeiten wie diesen – enormen wirtschaftlichen Vorteil: Er aktivierte privates Kapital.

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