Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Glück, Österreicher zu sein

Das Glück, Österreicher zu sein

Drucken

Schriftgröße

Ehe wir aus Empörung über den von der schwarz-blauen Regierung hinterlassenen Sumpf oder aus Ärger über die Versäumnisse der rot-schwarzen Regierung durchwegs zu den „Piraten“ oder H. C. Strache überlaufen, will ich die Österreicher davon überzeugen, dass sie im Paradies leben – indem ich ihnen von Spanien erzähle.

Was die Korruption betrifft, ist es mindestens ebenbürtig: Während die ehemalige Stadtregierung Marbellas gerade im größten Korruptionsprozess des Landes vor Gericht steht (der Baustadtrat wurde nur „die Hand“ genannt), ermittelt die Staatsanwaltschaft schon wieder gegen ein Dutzend hoher Politiker, die in Madrid und Valencia Baulizenzen zu Geld machten. José Zapateros Ex-Verkehrsminister steht unter dem Verdacht der Bestechlichkeit. Und demnächst steht ein Schwiegersohn des Königs wegen eines Delikts vor Gericht, das Meischberger & Co erdacht haben könnten: Der frischgebackene „Herzog von Palma“ wurde Präsident eines eigens geschaffenen, gemeinnützigen Instituts namens Nóos, für „Forschungen allgemeinen Interesses über die Formulierung und Erfüllung von Strategien zu Schirmherrschaften und Mäzenatentum“. Für diese ersichtlich bedeutsame Aufgabe erhielt Nóos in zwei Jahren sechs Millionen Euro Steuergeld und erwies sich als Mäzen: Es gab das Geld an Unternehmen des Herzogs weiter.

Also durchwegs österreichische Zustände. Spanien kennt ja auch den gleichen ausufernden Einfluss des Staats auf die Wirtschaft und ist vom gleichen, ganz und gar nicht ­puritanischen Wirtschaftsverständnis geprägt.

Nur dass die Last der politischen Korruption in Spanien von einer unterentwickelten Wirtschaft getragen werden muss, während Österreichs Wirtschaft – durch die Konkurrenz mit Deutschland gestählt – weder durch die ständige Korruption noch durch die aktuelle Finanzkrise aus dem Tritt zu bringen war.

Spaniens Wirtschaft hingegen schrumpft nicht nur seit drei Monaten, sondern wird das nach Ansicht der Notenbank weiterhin tun: Das Land befindet sich mitten in einer saftigen Rezession.

Aus der Nähe gewinnt dieses Wort Gestalt: Auf der Zufahrt zu unserem Haus in Marbella gab es einen Block mit vier Geschäften. Im Jänner waren es nur mehr drei, vor zwei Monaten waren es noch zwei; jetzt ist es nur noch eines.

In Granada, wo ich verrückterweise ein Lokal betreibe, sind von zehn Geschäften sechs geschlossen oder zu vermieten. „Liquidation“ steht auf der Auslagenscheibe des ­Lokals gegenüber dem meinen – „de Existencias“ hat ­jemand dazugeschrieben.

In der Vorwoche hat sich zwei Häuser weiter ein Arbeitsloser aus dem Fenster gestürzt. Es gibt diesbezüglich keinen Unterschied zu Griechenland – die Spanier setzen nur vorerst noch nichts in Brand. Mein allzeit fröhlicher Freund Juan sieht die Lage hoffnungslos, aber nicht ernst: Die Krise würde nicht ein oder zwei, sondern zehn bis fünfzehn Jahre dauern. Denn der Staat hätte kein Geld für öffentliche Aufträge, und die spanische Wirtschaft sei der Konkurrenz nicht gewachsen. Dank Franco hinke sie der österreichischen oder gar deutschen um gute zwanzig Jahre nach.

Aufgeholt habe man nur im Lebensstandard – und zwar auf Pump!
Also müssten die Löhne sinken, um konkurrenzfähig zu werden, und die Preise sinken, um trotz geringerer Löhne zu überleben (= Rezession + Deflation). Der Lebensstandard müsse um zwanzig Jahre zurückgefahren werden.

So würde es auch passieren. Nachsatz von Juan: „Aber ich lebe hier trotzdem am liebsten. Uns bleibt die Sonne und der beste Fußball.“

Immer mehr jungen Spaniern ist das zu wenig. Sie sehen keine Chance, ihr Leben auf normale Weise zu finanzieren. Mein Freund Antonio, Doktor der Sportwissenschaften und seit zehn Jahren auf der Suche nach einer Anstellung als Lehrer, schlägt sich als Nachtwächter durch. In der Vergangenheit verdiente er ein paar hundert Euro dazu, indem er bei Polterabenden strippte – was seine katholische Frau auf keinen Fall wissen durfte. Mittlerweile ist er geschieden – und der neunjährige Sohn überrasche ihn mit der Frage nach Gummischwänzen, die er bei seiner Mutter in einer Kiste gesehen habe: Die studierte Geografin vertreibt sie per Internet für einen Pornoversand, seit ihr Job als Kartografin der Krise zum Opfer gefallen ist.

Akademische Ausbildung – mit 38 Prozent hat Spanien die höchste Akademikerquote der Welt – entpuppt sich als völlig wertlos, wenn nicht kontraproduktiv: Mädchen, die bei Zara Verkäuferinnen werden wollen, verschweigen ihren B. A., weil sie den Job sonst nicht bekämen. (Denn Zara müsste Akademikern mehr zahlen.)

Nicht einmal Technik-Absolventen sehen Chancen – sie drängen nach Deutschland. Damit verliert Spanien genau die Leute, die es brauchte, um wirtschaftlich aufzuholen.

Wenn es auch noch Investitionen in Lateinamerika verliert, weil selbstherrliche Machthaber sie verstaatlichen, ist Spanien k. o. Die EU muss der Nationalisierung einer Tochterfirma von Repsol in Argentinien im Interesse des Euro mit allen Mitteln entgegentreten. Mein Freund Juan flüstert mir, was Spanien selbst unternehmen könnte: „Wir ­nationalisieren Lionel Messi

[email protected]