Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Hypo-Verdienst der EU

Das Hypo-Verdienst der EU

Drucken

Schriftgröße

Die Entscheidung zur EU-Wahl fällt mir ausnahmsweise leicht: Ich werde meine Stimme für Othmar Karas abgeben. Er ist anständig, kompetent und erfahren. Eugen Freund dagegen muss erst noch beweisen, dass er seinem Vorgänger Hannes Swoboda das Wasser reichen kann. Die Erörterung jedes FP-Kandidaten erübrigt sich. Und von den Spitzenkandidatinnen der NEOS und der Grünen weiß ich nichts, was sie mich Karas vorziehen ließe.
Für ihn spricht aber noch ein zweites Argument: Mit ihm stimmt man für Jean-Claude Juncker als künftigen Präsidenten der EU-Kommission. Und ich weiß niemanden, der diese Funktion glaubwürdiger, klüger und erfolgreicher ausüben könnte.

Selbst der exzellente Parlamentspräsident Martin Schulz scheint mir diesbezüglich bloß zweite Wahl.

Die Mehrheit der Österreicher sieht freilich überhaupt keinen Grund, an diesen EU-Wahlen teilzunehmen. Mehr Gründe für die Absurdität dieser Haltung als Christian ­Rainer kann ich auch nicht nennen. Aber vielleicht ein Argument, das seit Monaten aktenkundig und vielleicht selbst Spatzenhirnen zugänglich ist: Ohne EU betrüge der Betrag, um den wir uns beim Hypo-Debakel sorgen müssten, nicht zwölf, sondern mindestens 24 Milliarden Euro.
Theoretisch hätte zwar auch ein österreichisches Organ den Hypo-Wahnsinn zumindest rechtzeitig kritisieren können: Der Rechnungshof hat die Mega-Haftung Kärntens ja 2003 festgestellt und aus der Prüfung der Hypo sogar gewusst, dass sie in große Ostgeschäfte verwickelt ist. Wenn RH-Präsident Josef Moser im profil-Gespräch meinte, er sei nur nicht eingeschritten, weil das nicht mehr 50-prozentige Eigentum Kärntens an der Hypo ihn leider in der Folge an weiteren Hypo-Prüfungen gehindert hätte, dann ist das zwar im konkreten Detail richtig, aber im Gesamtzusammenhang absurd: Auch ohne jede Hypo-Prüfung musste ihm klar sein, dass es wahnwitzig ist, wenn ein Bundesland mit dem Zwölffachen seines Jahresbudgets für irgendetwas haftet. Ganz nebenher hätte ihm sauer aufstoßen müssen, dass sein Parteifreund Jörg Haider die Unüberprüfbarkeit der Hypo ja erst hergestellt hatte, indem er einen winzigen Anteil an der Bank an Mitarbeiter verkaufte. Aber diesem RH-Präsidenten stieß nichts auf, was sich im blauen Kärnten ereignete. Und selbst wenn es ihm aufgestoßen wäre, hätte er nur vor der Haftung warnen, nicht aber sie vermindern können. Das konnte nur die EU.

Wie also kam es, dass Kärnten seine Haftung von 24 auf mittlerweile zwölf Milliarden reduzierte, statt sie womöglich auf 30 Milliarden auszudehnen, was unter Haider durchaus auch denkbar gewesen wäre?

Wie Kärnten hatte bekanntlich auch Bayern in der BayernLB eine durchpolitisierte Bank, für die das Land (wenn auch nur mit 5,2 Milliarden) haftete. Das ärgerte diverse Sparkassen, weil es der BayernLB einen massiven Wettbewerbsvorteil verschaffte: Einleger vertrauten ihr eher, und Notenbanken liehen ihr Geld zu günstigeren Zinsen. Dagegen klagten sie bei der EU, denn deren Verträge besagen in Artikel 107, dass der Staat kein Unternehmen wettbewerbsverzerrend unterstützen darf.
Die Sparkassen setzten sich durch und die EU-Kommission trug allen Mitgliedsländern auf, staatliche Haftungen für Banken sofort zu reduzieren und spätestens bis 2017 zu beenden.

Nur weil Österreich an diesen EU-Entscheid gebunden war, musste Kärnten ab 2003 beginnen, seine Haftung abzubauen, was es freilich extrem langsam tat und was vom Rechnungshof abermals zu rügen gewesen wäre. Dennoch sind nur dank der EU aus den ursprünglichen 24 Haftungs-Milliarden „nur“ mehr 19 (beim Rückkauf von der BayernLB) und jetzt zwölf geworden.

Wie die Österreicher es dennoch fertigbringen, das enorme Verdienst „Brüssels“ in den wirklich wichtigen wirtschaftlichen Belangen völlig zu negieren, weiß ich nicht. Da werden (durchwegs von den eigenen Politikern mitbeschlossene) kleine und mittlere EU-Fehlleistungen, wie die Vorschreibung von Gurkenradien oder Energiesparlampen, durch Jahre lautstark beklagt, aber es wird völlig übersehen, dass dieselbe EU uns in derselben Zeit Milliarden einzusparen hilft, indem sie – und praktisch nur sie – fairen Wettbewerb durchsetzt.

Bezüglich der Haftung für Banken war ihr Einschreiten existenziell – denn solange die öffentliche Hand für Banken haftet, kann man sie nur unter Lebensgefahr zusperren. Aber auch in anderen Bereichen geht es um Milliarden: Jeder EU-Kritiker möge sich einmal überlegen, was die öffentliche Hand beispielsweise allein für die Anschaffung und Wartung von Rolltreppen und Aufzügen ausgibt. Deren wenige Hersteller bildeten bis 2004 ein Kartell, mit dessen Hilfe sie die Preise bis zu einem Drittel überhöhten. Dann gelang es der EU-Wettbewerbsbehörde, sie der verbotenen Preisabsprache zu überführen – sonst kassierten sie bis heute weiter. Genauso wie die Hersteller von Schienen, Zement oder Papier, die gleichfalls verbotener Absprachen überführt wurden.

Aber die Österreicher empören sich über die „Brüsseler Bürokratie“, die etwa so groß wie die von Linz ist.

[email protected]