Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Das Inländer-Problem

Das Inländer-Problem

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Obwohl er einige empörte „Kommentare der anderen“ ­herausfordern dürfte, ist der beschlossene Nationale ­Aktionsplan für Integration in seiner letzten Fassung nicht ­unvernünftig. Er kommt nur um fast fünfzig Jahre zu spät.

Sein Leitsatz „Zuwanderung hat sich an den Interessen ­Österreichs und damit am Arbeitsmarkt zu orientieren“ hätte in der Zeit beachtet werden müssen, zu der jene abertausenden ­unqualifizierten türkischen Gastarbeiter nach Österreich geholt wurden, deren Nachfahren heute das zentrale Integra­tionsproblem bilden. (Gegen die Flüchtlingsströme aus dem ehemaligen Jugoslawien und die Wirtschaftsflucht aus dem zusammenbrechenden Ostblock konnte man, wie Christian Rainer schon in der Vorwoche klarstellte, nichts unternehmen.)

Angefordert wurden die türkischen Gastarbeiter vornehmlich von schlecht funktionierenden Unternehmen gefährdeter Industrien – etwa der Textilindustrie –, die (fälschlich) meinten, auf diese Weise zu überleben. Dem hätte man nicht nachgeben dürfen. Aber auch sehr gute Industrien, insbesondere die Fremdenverkehrsindustrie, haben heftig nach türkischen Gastarbeitern verlangt, weil Österreicher nicht bereit waren, Böden zu scheuern oder WCs zu putzen.

Auch dem hätte man nicht nachgeben, sondern die Bedingungen für den Bezug von Arbeitslosengeld anpassen müssen: Auch in der globalisierten Wirtschaft der Zukunft werden minderqualifizierte Österreicher sich damit abfinden müssen, minder angenehme Arbeiten zu verrichten. Voran die Industrie und am Rande die Gewerkschaften ­haben auf diese Weise entscheidend zum gegenwärtigen ­Migrantenproblem beigetragen.

Danach kommen die Schwächen des Bildungssystems, das nicht in der Lage war und ist, den Bildungsrückstand ­voran türkischer Zuwanderer zu beseitigen. Es ist das allerdings – um ein linkes Tabu anzufassen – auch ein genetisches Problem: In der Unterschicht aller Gesellschaften, die sozial nicht völlig undurchlässig sind, ist der ­Anteil mäßig begabter (nicht nur mäßig ausgebildeter) Personen relativ größer. Wenn sich die Zuwanderung vor allem aus dieser türkischen Unterschicht rekrutiert, kann man, wie mir ein türkischer Student entgegenschleuderte, nicht erwarten, dass lauter Intellektuelle ankommen. Auch in zweiter Generation werden sie relativ seltener sein.

Intensive Schulbildung kann aber vieles wettmachen. Deshalb gibt es in immer mehr Ländern „Vorschulen“, die man ab drei besucht und die auch für österreichische Unterschicht-Kinder höchst nützlich wären. Auch die wurden versäumt. Dass jetzt Deutschprüfungen an Goethe-Instituten abgelegt werden müssen, ehe die Zuwanderung aus Drittstaaten gestattet wird, ist nicht unvernünftig, aber insofern überflüssig, als diese Zuwanderung seit Jahren gestoppt ist. Dort, wo solche Prüfungen die Familienzusammenführung behindern – was ihr eigentlicher Zweck sein dürfte –, sehe ich ein humanitäres Problem: Wollen wir wirklich einem Mann seine Frau vorenthalten, weil sie den Deutschtest nicht schafft?

Die Mehrheit der Österreicher dürfte darauf Ja sagen. Dass man Menschen auch in einem Land aufnehmen kann, obwohl das einen wirtschaftlichen Nachteil mit sich bringt, ist nicht selbstverständlich, sondern dazu muss man ­erzogen werden.

Die Österreicher bringen dafür – man erinnere sich ihrer Hilfsbereitschaft nach dem Ungarn-Aufstand, dem russischen Einmarsch in Prag und den ethnischen Säuberungen in Bosnien – gute Voraussetzungen mit. (Auch wenn diese Hilfsbereitschaft mit zunehmendem Wohlstand ab- statt zugenommen hat.) Doch dieses primär große Verständnis für Menschen, die eine neue Heimat suchen, wurde ihnen mit Gewalt ausgetrieben: in etwa gleichem Ausmaß durch FPÖ und „Kronen Zeitung“. Dagegen hätten Politiker von Format ankämpfen können. Stattdessen haben sie sich bekanntlich von Jörg Haider und Hans Dichand vor sich hertreiben lassen. Der Nationale ­Aktionsplan für Integration ist sozusagen die letzte Etappe auf dieser Flucht: Seht her, wir sind ja auch total ­gegen die Zuwanderung – obwohl es sie seit Jahren nicht mehr gibt.

Christian Rainer hat zu meiner Freude eine Stellung­nahme von Kardinal Schönborn zur „Krone“ eingefordert – ich habe an dieser Stelle einmal gemeint, Heinz Fischer hätte doch ­eigentlich, wie ich, Flüchtlinge bei sich aufnehmen können. ­

Man kann auch „Fremdenfreundlichkeit“ vorleben – und hat es versäumt.
So wie die Bischofssitze in der NS-Zeit keineswegs von ­jüdischen U-Booten übergequollen sind, quellen sie jetzt ­keineswegs von tschetschenischen oder sudanesischen Flüchtlingen über.

Das überlässt man Außenseitern: Ute Bock not only for President, but for Bishop. Von Politikern, die Flüchtlinge bei sich aufgenommen ­haben, habe ich überhaupt noch nie gehört. Dabei kann man vielleicht auch damit Stimmen gewinnen. Vor allem, wenn sich nicht nur „Ostbahn-Kurti“, sondern auch Popstars, Filmstars, Fernsehmoderatoren oder Spitzensportler einer solchen „Stimmungsmache“ in Worten und ­Taten anschließen.

Jedenfalls müsste ein Innenminister, der selbst einen Flüchtling beherbergt, die Bevölkerung nicht belügen, wenn er im Süden Österreichs ein Flüchtlingsauffanglager einrichten will, sondern könnte von den eigenen positiven Erfahrungen mit „Ausländern“ berichten. Wir aber haben Maria Fekter, die ihren ganzen Ehrgeiz ­dareinsetzt, auch noch Arigona Zogaj abzuschieben.

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