Hans Jörg Schellings Sparprogramm für den Staat ist unrealistisch bis kontraproduktiv

Peter Michael Lingens: Das Steuer-Dilemma

Das Steuer-Dilemma

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Mit dem neuen Jahr dürfte auch Österreich die Kriterien einer „Rezession“ erfüllen: Seine Wirtschaft wird zwei Quartale nacheinander geschrumpft sein. Zentrale Ursache ist Angela Merkels Sparpakt: Die Wirtschaft muss schrumpfen, wenn alle EU-Staaten gleichzeitig sparen. Aber Österreichs bisherige VP-Finanzminister haben einen maximalen Eigenbeitrag zu dieser Entwicklung geleistet: Indem sie die Steuerreform zur Entlastung der Einkommen bis heute hinausgezögert haben, haben sie auch die Konsumnachfrage höchstmöglich beeinträchtigt. Hans Jörg Schelling ist der erste, der verhandelt. Das ist ein durchaus gravierender Fortschritt, der Reinhold Mitterlehner gutzuschreiben ist.

Bezüglich des Volumens der steuerlichen Entlastung der Arbeitseinkommen sind die Regierungsparteien fast einig – bezüglich der „Gegenfinanzierung“ trennen sie vorerst Wel­ten. In der Zuspitzung der „Agenda Austria“: „Während die ÖVP Ausgabensenkungen präferiert, tritt die SPÖ offen für eine radikale Umverteilung der Steuerlasten ein: Was den Menschen über eine Absenkung der Lohnsteuer gegeben wird, soll sich der Staat über Vermögens- und Erbschaftssteuern zurückholen – allen voran von den Unternehmern.“

Der letzte Halbsatz suggeriert, dass die SPÖ Unternehmen massiv belasten beziehungsweise Unternehmer mehr als andere „Reiche“ zur Kasse bitten will. Weder das eine noch das andere stimmt. Allerdings will Schelling – anders als die SPÖ – Unternehmen sogar steuerlich entlasten: um 800 Millionen jährlich. Er muss dabei nicht zwingend mit Protesten der Arbeitnehmer rechnen, denn ihnen hat man lang genug eingeredet, dass diese „angebotsorientierte Politik“ immer niedrigerer Unternehmenssteuern zu steigenden Investitionen und damit sicheren Arbeitsplätzen führte. Deshalb wurde diese Politik durch mehr als ein Jahrzehnt auch anstandslos geübt – nur dass sie, wo immer sie Anwendung fand, kaum die Investitions-, nur die Gewinnquoten hochschnellen ließ. Der Schelling-Vorschlag ist nichts als – noch dazu schlechte – Klientel-Politik.

Denn nachhaltigen Nutzen brächte den Unternehmen nur eine Steigerung der „Nachfrage“, und die gelänge nur durch deutlich mehr Umverteilung von oben nach unten, wie sie mittlerweile nach den G20 auch die OECD fordert: „Unsere Analysen zeigen, dass wir nur auf Wachstum zählen können, wenn wir der wachsenden Ungleichheit etwas entgegensetzen.“ (Generalsekretär Ángel Gurría) Die OECD empfiehlt zu diesem Zweck auch eine Strategie: Umverteilung von oben nach unten mittels Steuern und Transfers, damit jene Leute mehr Geld in der Tasche haben, die dringend mehr einkaufen („nachfragen“) wollen. (Während wohl-„habende“ die meisten Dinge, wie der Name sagt, schon haben.)

Schelling fordert satt Umverteilung „Verwaltungsreformen“, wie sie natürlich immer populär sind. Nur dass er die erzielbaren Ersparnisse maßlos überschätzt. Österreich hat keine „Bürokratie-Monster“ (Christoph Leitl), sondern den nach Deutschland schlanksten Staat der EU. Seit 2002 hat es die Zahl seiner Beamten von 333.856 auf 238.540 um gigantische 95.000 verringert.

Natürlich gibt es dennoch Verwaltungsakte, die sich effizienter gestalten lassen – aber 600 einzusparende Millionen jährlich sind blanke Illusion.
Bleiben einzusparende Ausgaben für Pensionen. Hier sind Beamten amtsbekannt bevorzugt – ihre Pensionen gehörten ASVG-Pensionen rascher angenähert. Aber das verhindert die Rechtsprechung – rasch sind auch hier keine großen Summen zu holen. Es sei denn, man kürzte die Pensionen ganz allgemein – nähme also selbst ASVG-Pensionisten etwas weg. Nur dass das (abseits der sozialen Fragwürdigkeit) volkswirtschaftlich zwingend zulasten der Kaufkraft ginge.

Zulasten der Kaufkraft geht auch jede Kürzung von Förderungen, Beihilfen und sonstigen Transfers. Österreichische (schwedische, dänische) Budgets sind nicht wegen der hohen Verwaltungskosten, sondern wegen der hohen Transfers so voluminös: Durch sie wird –wenn auch höchst ungenau – relativ kräftig von „oben“ nach „unten“ umverteilt. Das ist einer der Gründe dafür, dass unsere Konjunktur sich wie die schwedische oder dänische bisher als relativ widerstandsfähig erwiesen hat.

Schelling wird das Ausmaß dieser Umverteilung im Widerspruch zu den Empfehlungen der OECD, aber im Einklang mit Angela Merkel, zum Schaden der Konjunktur durch ein „Sparbudget“ verringern – ich will jedoch für möglich halten, dass er diesen Schaden durch Erhöhung der Zielgenauigkeit minimiert.

Auch sonst hoffe ich auf Glück im Unglück: Zwar kommt die Steuerreform zu spät, zwar ist ihr Volumen zu gering, zwar wären Erbschafts- und Schenkungssteuern sinnvolle Ingredienzien, zwar sind Schellings Schätzungen illusionär – aber ein gewisses Maß an zielgenauer Umverteilung wird als Gegenfinanzierung zustande kommen: Schelling wird die Grundsteuern auf der Basis möglichst rasch und deutlich erhöhter Einheitswerte einheben. Damit wird Österreich zumindest diese weltweit übliche „Vermögens-“ und „Substanz-“Steuer trotz ÖVP bekommen.

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