Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Dead man walking

Dead man walking

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Mit Michael Spindelegger als Obmann ist die ÖVP ohne Zukunft – er hätte nie in diese Position gelangen dürfen. Für ihn spricht, dass er ein anständiger Mensch ist – alles andere spricht gegen ihn: Er besitzt weder politischen Instinkt noch gar Charisma. Er ist weder telegen noch eloquent: Wenn er spricht, sagt ein strebsamer Schüler Eingelerntes auf. Es ist unmöglich, hinter den diversen Rollen, in die seine Spindoktoren ihn drängen, seine eigene „Persönlichkeit“ zu entdecken: Wenn sie meinen, er müsse sich profilieren, fordert er automatengleich das Gegenteil der SPÖ; wenn sie meinen, er dürfe „nicht umfallen“, bleibt er so lange bei einer unhaltbaren Ansicht, bis er auf die Nase fällt; wenn sie meinen, er müsse sich „angriffslustig“ zeigen, entfesselt er Gelächter.

In Summe ist das in einer Mediengesellschaft ein übergroßes Handicap. Es wäre nur überwindbar, wenn ihm überragende Sachkompetenz gegenüberstünde. Aber das Gegenteil ist der Fall: Ungeschickter als er konnte kein ­Außenminister den Golan-Einsatz beenden; seine Argumente gegen die Gesamtschule sind unter den vorhandenen die schwächsten; und in der Frage der Vermögenssteuern fehlen ihm die Grundkenntnisse bürgerlicher Nationalökonomie: In jeder produktiven Wirtschaft muss es sehr viel leichter sein, Vermögen zu schaffen, als es zu bewahren! Steuern auf Einkommen behindern Wirtschaftswachstum ungleich mehr als Steuern auf Vermögen!

Spätestens als nach OECD, SPÖ und NEOS jüngst auch die Grünen forderten, dass Österreich bei gleichbleibender Steuerquote die Steuern auf Arbeit in dem Ausmaß senken möge, in dem es die Steuern auf Vermögen erhöht, ist die ÖVP mit ihrem Vermögenssteuer-Veto völlig isoliert. Selbst Bürger, denen Wirtschaft reichlich fremd ist, können nicht mehr übersehen, wie sehr Spindeleggers Steuerbekenntnis seinem Slogan, dass „Leistung sich lohnen“ müsse, widerspricht.

Dass auch ein Christoph Leitl diesen Widerspruch nicht wahrnimmt und im Erben offenbar auch eine Leistung sieht, die man vor linkem Zugriff schützen muss, während man Arbeitnehmern unverändert Rekordsteuern abverlangt, ist im Lichte seiner allgemeinen wirtschaftspolitischen Stellungnahmen – „abgesandelt“ – nicht weiter erstaunlich: Es hat kaum je einen so unbetamten Chef der Bundeswirtschaftskammer gegeben.
Für jeden halbwegs wirtschaftskundigen Schwarzen – von Markus Wallner bis Wilfried Haslauer – musste der Moment kommen, in dem er ausspricht, dass er sich höhere Schenkungs- und Erbschaftssteuern zur Gegenfinanzierung niedrigerer Einkommenssteuern vorstellen kann. Erwin Prölls Beharren – „mit uns wird es keine Vermögenssteuern geben“ – kann das Fiasko nur betonieren: Mit seinem Vermögenssteuer-Veto hat Spindelegger sich nicht nur als wirtschaftlich restlos inkompetent erwiesen, sondern die ÖVP außerdem noch in ein Umfragetief manövriert.

Im „Standard“ vertritt Michael Völker die Ansicht, dass die ÖVP dennoch alles eher als eine Obmanndiskussion braucht, in der sie sich nur einmal mehr selbst zerfleische. Ich stelle dem die Befürchtung gegenüber, dass sie kein Fleisch mehr haben wird, wenn Spindelegger Obmann bleibt. Völker begründet seine Sicht mit dem Mangel an Alternativen: Sebastian Kurz sei zu jung, Reinhold Mitterlehner ein Spindelegger auf Oberösterreichisch.
Ich bestreite beides: Mitterlehner hat sich in seiner Funktion wesentlich kompetenter gezeigt und wirkt bei TV-Diskussionen zumindest wie jemand, der seine eigene Meinung, nicht die seiner Spindoktoren, vorträgt. So vermochte er selbst die wahrhaft nicht populäre Übernahme des Wissenschaftsressorts halbwegs erfolgreich zu verteidigen. Er wäre gegenüber Spindelegger zumindest ein Fortschritt.

Die mit Abstand beste Wahl wäre freilich trotz seiner Jugend Sebastian Kurz: Er hat Hirn, Einfühlungsvermögen, Fantasie und ist zudem telegen. Gerade seine Jugend könnte die Fantasie der Wähler beflügeln: Sie könnten der ÖVP so etwas wie „Aufbruch“ zutrauen.

Das zentrale Hindernis der Volkspartei (wie der SPÖ) gegen jeglichen „Aufbruch“ ist der Mechanismus, der den parteiinternen Aufstieg regelt: In beiden Parteien werden Spitzenkandidaten statt durch Vorwahlen unter den Mitgliedern durch das Diktat von Landesfürsten ermittelt. Schon die Kurfürsten neigten aber bekanntlich dazu, Kaiser zu küren, die nicht stärker als sie selber waren – von roten und schwarzen Landeshauptleuten kann man schwer anderes erwarten. Noch dazu, wo Erwin Pröll sich mittlerweile als Fürsterzbischof fühlt: Nicht einmal, dass er seiner Partei Ernst Strasser oder Monika Lindner eingebrockt hat, lässt ihn eine Sekunde an seiner gottgegebenen Fähigkeit zur besten Personalentscheidung zweifeln.
Dass Kurz und Mitterlehner keine „Niederösterreicher“ sind, kann ausreichen, ihren Aufstieg an die Parteispitze zu verhindern.

Wenn das so bleibt, wird die ÖVP dank ihres unbestritten erfolgreichsten Landeshauptmannes endgültig den Anschluss an SPÖ und FPÖ verlieren und Probleme bekommen, über der 20-Prozent-Marke zu bleiben.

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