Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Der absurde Kampf ums Heer

Der absurde Kampf ums Heer

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Die Auseinandersetzung um die Zukunft des Heers verläuft noch etwas absurder als die meisten unserer politischen Auseinandersetzungen: Die SPÖ, die ein Berufsheer immer wütend abgelehnt hat, will es nun dringend einführen. Die Volkspartei, die ihm neutral bis wohlwollend gegenübergestanden ist, bekämpft es jetzt wütend.

Als wichtigstes Argument für die Beibehaltung der Wehrpflicht wird die Möglichkeit ihrer Vermeidung durch den Zivildienst angeführt. Denn ohne Zivildiener brechen angeblich Rettungswesen und Krankenpflege zusammen, obwohl beide vor Einführung des Zivildienstes tadellos funktioniert haben.

Norbert Darabos, der noch vor Kurzem erklärt hat, dass es die Abschaffung der Wehrpflicht mit ihm „nicht geben wird“, feuert seinen Generalstabschef Edmund Entacher, weil der an ihr festhalten will. Und die „Kronen Zeitung“ beweist, erstmals nach Hans Dichands Tod, dass sie nach wie vor die Fahne ist, der die Genossen blindlings folgen.

Unter diesen Voraussetzungen bleibe ich sozusagen „trotzdem“ ein Verfechter des Berufsheers – auch wenn ich mit Entacher befürchte, dass die handelnden Personen ein Pfusch-Heer produzieren könnten.
Meine Argumente sind seit 20 Jahren die gleichen: Ein vornehmlich im Ausland eingesetztes Heer, das sich nicht mehr bloß an Sicherungsaktionen, sondern solidarisch an ernsthaften Kämpfen beteiligen soll, braucht professionelle Soldaten.

Ich habe General Entachers Gegenargumente durch Stunden angehört und im Interview gelesen: Er glaubt, dass ein Berufsheer teurer kommt und ohne Milizkomponente bei Auslandseinsätzen weniger effizient ist. Beides hat im Detail Hand und Fuß: So hat Entacher Recht, wenn er meint, dass es viel Geld kostet, wenn man nicht nur physisch, sondern auch intellektuell und psychisch geeignete Berufssoldaten in größerer Zahl gewinnen will. Andernfalls bekommt man Leute, die keinen anderen Job bekämen oder zur Mentalität rechtsradikaler Schläger neigen. In den US-Streitkräften ist jedenfalls beides ein gravierendes Problem: Im Irak haben GIs in Gefängnissen bekanntlich Folterorgien gefeiert, und bei WikiLeaks konnte man sich anschauen, wie locker sie ­irakische wie afghanische Zivilisten erschossen (um nicht ­ermordeten zu schreiben). In Afghanistan könnte die UN-Intervention daran scheitern, dass die Bevölkerung wegen solcher Ereignisse die Taliban unterstützt.

Österreichs Auslandstruppen waren bisher bei ihren Sicherungseinsätzen außerordentlich angesehen, weil sie insbesondere hoch qualifizierte Milizionäre mitgeführt haben, die Brunnen graben, Brücken bauen und Krankheiten bekämpfen konnten.

Es ist daher auch richtig, dass ein künftiges Berufsheer dringend über ein solches militärisch geschultes, aber für ­zivile Aufgaben qualifiziertes Personal verfügen muss. Wenn man aber Facharbeiter, Ingenieure, Ärzte usw. abseits der ­allgemeinen Wehrpflicht zu militärischen Schulungen ­be­wegen oder gar selbst ausbilden muss, kostet das einmal me­hr Geld.

In Summe fürchte ich, dass Entacher daher Recht hat, wenn er meint, dass ein effizientes Berufsheer eher mehr Geld als das gegenwärtige Heer kosten wird – nur halte ich das ­gegenwärtige Heer im Gegensatz zu Entacher nicht für effizient, wenn es ernsthafte Kampfeinsätze im Ausland bewäl­tigen soll, wie sie ein solidarisches Österreich eigentlich nicht ablehnen kann.

Dass die Mehrkosten durch den volkswirtschaftlichen Vorteil aufgewogen werden, der daraus resultiert, dass Achtzehnjährige nicht mehr einrücken müssen, sondern produktive Arbeit leisten, stimmt nur dann, wenn es für sie alle genügend Jobs gibt.

Das wäre durch den erhöhten Anfall von Altenpflege ­theoretisch durchaus gegeben – allerdings nur, wenn wir ­Gelder zu denen verlagern, die für diese Pflege aufkommen müssen. Derzeit vermindern wir „Pflegebeihilfen“.

Alle angesprochenen Probleme sind mit Geld und Fan­tasie lösbar – aber auch ich bin nicht überzeugt, dass man ­dieses Geld aufwenden will und dass Norbert Darabos diese Fantasie besitzt.

Dass er Entacher abgelöst hat, war zwar fantasielos, aber berechtigt: Ein Verteidigungsminister hat ein Recht darauf, dass zwischen ihm und seinem wichtigsten Offizier sachliche Übereinstimmung und Vertrauen herrschen. (In den USA gibt es die vernünftige Regelung, dass Minister sich ihre höchsten Beamten automatisch aussuchen.)

Geschickt war Darabos’ Vorgehen allerdings nicht: erst eine Art von Maulkorb, dann etwas, das zwar kein Rausschmiss ist, aber nach außen so wirkt. Dies, obwohl jedermann weiß, dass Darabos noch vor Kurzem alle Argumente Entachers für die Wehrpflicht selbst geteilt hat.

„Die Presse“ bringt es auf den Punkt, wenn sie Darabos’ Ablöse für mindestens so berechtigt hält: Er hat sich viel zu spät in die Materie vertieft – das Berufsheer wurde ihm ausschließlich von der „Kronen Zeitung“ und Michael Häupl nahegelegt. Zwangsläufig war er nie in der Lage, seine Offiziere davon zu überzeugen. Und natürlich setzt eine derartige Reform eine sicherheitspolitische Grundsatzdiskussion ­voraus: Ein kleines Berufsheer hat nur als spezialisierte Einheit innerhalb eines größeren europäischen Militärverbunds Sinn, und der ist derzeit nicht von der NATO zu trennen.

Das wird die ÖVP prompt benutzen, um doch noch Punkte gegen die SPÖ und ihr Berufsheer zu sammeln – nachdem sie den NATO-Beitritt durch Jahre gefordert hat.

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