Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Deutsche ­Milliarden für „faule“ Spanier

Deutsche ­Milliarden für „faule“ Spanier

Drucken

Schriftgröße

Die Meinung der Fernsehrunde im Pub war einhellig: „Wenn die Spanier überall so rennen würden und so präzise wie beim Passen wären, hätten sie keine Wirtschaftsprobleme.“ Ich sparte mir Widerspruch, denn ich war ortsfremd. Spanier arbeiten überall, wo ich sie erlebt habe – mit Ausnahme ihrer Verwaltung –, besonders schnell und genau. Ihnen etwa bei Bauarbeiten zuzusehen ist purer Genuss: Jeder Handgriff sitzt. Sie lachten sich schief, wenn sie erlebten, wie lange es dauert, bis in Wien ein paar Meter Rohrleitung verlegt sind. Die Vorstellung vom „faulen Spanier“ ist nichts als ein nationalistisches Vorurteil.

Dass die Wirtschaft Spaniens dennoch ungleich schwächer als die Österreichs ist, liegt an der ungleich schlechteren Ausstattung mit modernen Produktionsanlagen. Die wieder liegt nicht daran, dass Spanier so viel schlechtere Unternehmer wären, sondern daran, dass Spaniens Industrialisierung erst mit Francos Tod ernsthaft in Gang kommen konnte. Ein solcher später Markteintritt ist zwangsläufig schwieriger als ein „Wirtschaftswunder“ gleich nach dem Krieg. Denn 1975 gab es in ganz Europa in allen relevanten Branchen bereits große, potente Unternehmen, und selbst „Nischen“, wie Österreichs Mittelbetriebe sie so erfolgreich füllten, waren bereits rar.

Der wirtschaftliche Rückstand Spaniens, Portugals oder sämtlicher ehemals kommunistischer Staaten ist ein logischer und hat nirgendwo mit Faulheit zu tun.

Volkswirtschaften so verschiedener Leistungsstärke unter einer Währung zu vereinen war vermutlich ein Fehler. Sicher ist das freilich nicht: Unter dem Dollar sind nicht minder verschiedene Volkswirtschaften vereint. Mississippis BIP pro Kopf ist nur halb so groß wie das Kaliforniens und nur ein Fünftel Columbias – exakt wie bei Portugal im Verhältnis zu Deutschland und Liechtenstein.

Trotzdem besteht kein Zweifel: Mehr Homogenität wäre einfacher gewesen. Aber nun haben wir diese inhomogene Eurozone, und wenn sie die Stabilität der Dollarzone erlangen will, muss sich ihr Instrumentarium dem der USA annähern.

Die US-Bundesstaaten haften zwar nicht füreinander – aber wenn es einem von ihnen schlecht geht, sodass er für seine Anleihen höhere Zinsen zahlen muss, schießt ihm die Bundesregierung Geld zu diesen Zinszahlungen zu und ermäßigt seine Bundessteuerlast.

Vor allem aber haftet die Fed uneingeschränkt für den Dollar, und damit bringen US-Bonds den USA trotz ihrer ­exorbitanten Schulden noch immer preiswertes Geld.

Georg Hoffmann-Ostenhof schreibt seit 2009, dass die EU durch ihre Euro-Probleme zu mehr Gemeinschaft gelangen wird. Genau das ist beim jüngsten Gipfel geschehen: Der relativ große ESM ist nichts anderes als mehr gemeinsam aufgebrachtes Geld für mehr zentrale Hilfe an Mitglieder in Schwierigkeiten. Allein das Wissen um die Möglichkeit dieser Hilfe hat ihre Zinsen schon etwas ermäßigt. Sie könnten aber zweifellos leichter an billigeres Geld kommen, wenn die Eurozone sich auch zu Eurobonds entschlösse: Für Deutschland oder Österreich würden Kredite nur eine Nuance teurer – was beide sehr wohl verkraften könnten –, für Spanien, Italien oder Portugal würden sie erschwinglich. Das Problem wäre die eindämmende Kontrolle, die im US-System theoretisch gegeben ist – derzeit wird dort freilich lieber Geld gedruckt.

Dass die schwachen Euroländer nur dann zentrales Hilfsgeld erhalten, wenn sie gewisse (in Zukunft hoffentlich weniger drastische) Sparauflagen der ESM-Troika und des Fiskalpakts erfüllen, scheint mir so lange von Vorteil, als es keine bessere zentrale Kontrolle gibt.

Vorerst wird ESM-Geld freilich verwendet, spanische Banken zu retten, und das regt viele Leute begreiflicherweise auf. Denn diese Banken waren Basis des Problems: Durch viel zu viele vorerst billige Kredite haben sie die Spanier zu einem Leben weit über ihre Verhältnisse verführt. Banker scheinen erstaunlich wenig von Risiken verstehen zu müssen. Aber das gilt auch für deutsche Banker, sonst hätten sie nicht die mit Abstand meisten faulen US-Kredite eingekauft und damit die US-Finanzkrise importiert.

Deutsche Banken mussten 2009 bekanntlich mit Milliarden gerettet werden, während Spaniens Banken damals keine „Rettung“ brauchten, weil sie kaum US-Schrott erworben hatten. Jetzt müssen spanische Banken mit Milliarden gerettet werden, weil sie nach US-Vorbild gleich selbst in eine Immobilienblase investierten.

Dass systemrelevante spanische Banken zu ihrer Stabilisierung Geld aus dem ESM erhalten, ist sachlich nicht weniger berechtigt als die zurückliegenden Geldspritzen für systemrelevante Banken in Deutschland. Wer die Eurozone als Wirtschaftseinheit sieht, kann nicht anders handeln. Erst wenn ESM-Geld dazu genutzt würde, auch die vielen überflüssigen kleinen Geldinstitute Spaniens zu „retten“, wäre das ähnlich unvernünftig, wie es bei uns die Rettung der „Volksbanken“ oder der „Kommunalkredit“ gewesen ist.

An sich geben Konstruktion des ESM und Fiskalpakt die Möglichkeit, dergleichen zu verhindern.

[email protected]