Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Deutschstunde

Deutschstunde

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Auch ich, der ich im Zweifel Spanien die Daumen drücke, musste nach dem Endspiel der Champions League zugeben: Die Deutschen spielen den derzeit besten Fußball.

Die „Presse“ hat das zum Anlass für die rhetorische ­Frage genommen, ob die Deutschen vielleicht überhaupt „zu gut für Europa“ sind, indem sie es überall, voran in der Wirtschaft, dominieren.

Wifo-Chef Karl Aiginger hat darauf sehr differenziert geantwortet: Deutschland hätte zwar seine Wettbewerbsfähigkeit erfolgreich gesteigert, indem es seine Lohn­kosten gesenkt hat – aber das habe unter anderem mehr armutsgefährdete Deutsche zur Folge gehabt. „Wenn ich ein deutscher Wähler wäre, würde ich sagen, dass das nicht das richtige Rezept ist.“

Ich bin zwar kein deutscher Wähler, aber als Europäer wiederhole ich meine Behauptung der Vorwoche: Es ist auch nicht das richtige Rezept für Europa. Denn in diesem Europa kann nur dann mehr verkauft werden, wenn alle mehr einkaufen – auch Deutschlands Lohnempfänger.

Dass der Zusammenhang zwischen dem Wohlergehen der Deutschen und dem Wohlergehen aller anderen Europäer von deutschen Finanzministern so lange so konsequent übersehen wurde, zählt mit zu den wesentlichen Ursachen der aktuellen Krise: Weil die Kaufkraft in Deutschland seit rund 15 Jahren aufgrund stagnierender Reallöhne nicht zugenommen hat, ließ sich die ständig steigende Produktion deutscher Unternehmen innerhalb Deutschlands immer schwerer absetzen – das drängte sie mehr denn je zum Export.

Der fiel ihnen umso leichter, als deutsche Waren angesichts nahezu gleichbleibender Lohnkosten im europäischen Vergleich immer preiswerter und damit ihrer südlichen Konkurrenz immer überlegener wurden. (Statt eines ­Renault, Fiat oder Seat haben selbst Franzosen, Italiener und ­Spanier immer öfter einen VW, Audi oder BMW gekauft.)

Deutschland hätte in diesen 15 Jahren stagnierender Löhne nicht den bis heute andauernden Boom erlebt, wenn es auf die eigene Nachfrage angewiesen gewesen wäre: Es ­hätte – um das offensichtlichste Beispiel anzuführen – mit dem stagnierenden deutschen Auto-Absatzmarkt seine Rekordproduktion an Autos nie aufrechterhalten können, sondern konnte das nur, weil deutsche Autos immer mehr Käufer im „Süden“, später auch in Russland und China, fanden.

Die Russen verkauften den Deutschen dafür unverzichtbares Erdgas, die Chinesen Billigteile für deutsche Maschinen und Ramsch. Der „Süden“ hingegen blieb mit seinem Angebot chancenlos: Niedrig entlohnte Deutsche hatten ­entsprechend wenig Geld für italienisches Design oder ­spanische Früchte zum Nachtisch und gaben auch bei ­ihren Urlauben im „Süden“ nur mehr das Nötigste aus.

So kaufte der „Süden“ die deutschen Waren bekanntlich nicht von verdientem Geld, sondern auf Pump. Ich ­wiederhole mich, wenn ich schreibe: Ein Gutteil des deutschen Booms ist dem „südlichen“ Schuldenstand direkt proportional.

Ganz scheint sich Wolfgang Schäuble diesen Zusammenhängen doch nicht zu verschließen: Zuletzt hat er Deutschlands Arbeitnehmer geradezu offen zu Lohnforderungen ermutigt. Das ist ein Fortschritt.

Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass dieses Nachziehen der deutschen Löhne Grenzen hat: Deutschland steht ja nicht nur mit ­europäischen Volkswirtschaften, sondern mit Japan, Taiwan sowie Südkorea in Konkurrenz, und in Relation zu diesen Ländern müssen die Lohnstückkosten konkurrenzfähig bleiben – aber dank der hohen deutschen Produktivität sind sie das allemal.

Gleichzeitig kann eine hoffentlich endlich anspringende deutsche Binnenkonjunktur einiges zur Gesundung des „Südens“ beitragen: Italien, Frankreich und Spanien sollten in Deutschland endlich wieder mehr Waren absetzen können. Und ein wenig werden steigende deutsche Löhne auch ihr Handikap bei den Lohnstückkosten verringern. Das Entscheidende muss freilich vor Ort geschehen: Der „Süden“ muss an Produktivität gewinnen.

An mangelnder Ausbildung liegt es selten: Spanien zum Beispiel hat die meisten Akademiker der Welt – aber viel zu wenig Unternehmen, in denen sie ihre Fähigkeiten verwerten können. Denn statt dass der spanische Staat Investitionen seiner Unternehmen gefördert hätte, war die Regierung José María Aznars stolz drauf, die niedrigste Staatsverschuldung Europas auszuweisen. Und statt dass Unternehmen Kredite zugunsten moderner Produktionsanlagen und ­neuer Technologien aufgenommen hätten, haben die Bürger ­Kredite zugunsten unverkäuflicher Appartements und deutscher Autos aufgenommen. Diese Konsumentenkredite, nicht vielleicht Unternehmenskredite, haben Spaniens ­Banken über jedes vernünftige Maß ausgeweitet.

Jetzt schränken sie sie über jedes vernünftige Maß ein: Spaniens (und Portugals) Klein- und Mittelunternehmen bekommen von ihren Banken kaum mehr Geld.

Das ist ein entscheidender Punkt, an dem Merkel & Schäuble ansetzen müssen, um die Rezession aus den ­Angeln zu heben: Es muss für den „Süden“ so etwas wie ­unsere einstigen ERP-Kredite geben. Finanziert von den Deutschen, statt von den USA.

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