Die Gefahr einer Schul-Monokultur

Peter Michael Lingens: Die Gefahr einer Schul-Monokultur

Die Gefahr einer Schul-Monokultur

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Eine Diskussion über Ursachen und Folgen der NS-Zeit hat mich an das Gymnasium Hermagor geführt – jenes Gymnasium, in das ich wohl gegangen wäre, wenn ich nach dem Krieg im nahen Kötschach-Mauthen geblieben wäre, wohin die NS-Zeit mich verschlagen hatte. Ich habe zu meiner Freude festgestellt, dass ich eine besonders gute Schule besucht hätte – engagiert und weltoffen. Nur dass sie leider bloß aus einer Oberstufe besteht.

Eine Unterstufe wird ihr seit Jahren nicht bewilligt, obwohl die Eltern der näheren Umgebung sich schon mehrmals zu gemeinsamen Aktionen zusammengetan haben; und obwohl soeben in nur zwei Wochen wieder 1500 Unterschriften dafür gesammelt wurden. Denn es gibt in Hermagor eine „Neue Mittelschule“, von der man in die Oberstufe des Gymnasiums übertreten kann – und nach Ansicht der SPÖ auch soll. Erstens aus ideologischen Gründen, zweitens, weil eine zusätzliche gymnasiale Unterstufe, so leicht sie sich einrichten ließe, nicht kostenlos wäre – denn Österreich muss sparen. Ich halte dieses Sparen im Schulbereich bekanntlich für schwachsinnig, aber im konkreten Fall möchte ich auch die Ideologie infrage stellen: Ich bezweifle, dass die NMS in ihrer aktuellen Ausformung das Niveau einer gymnasialen Unterstufe erreicht.

Dieser Zweifel liegt auch den 1500 Unterschriften zugrunde. In den Worten zweier Väter, mit denen ich mich unterhalten habe: „Wir wissen doch, was wir selbst in Mathematik in diesem Alter konnten. Das können unsere Kinder in der NMS nicht entfernt, obwohl die Lehrer ihr Bestes tun.“ Die so reden, sind nicht Freiheitliche oder Schwarze, sondern brave Rote. Sie begehren auch nicht wirklich gegen die Parteilinie auf – „für manche Kinder ist die NMS wahrscheinlich das Beste“ –, sondern wollen nur „freie Wahl“: „Eltern in Villach können zwischen NMS und gymnasialer Unterstufe wählen – wir nicht. Unsere Kinder müssten um fünf Uhr aufstehen, um ins nächste Gymnasium zu kommen. Das ist unfair.“ Manche Kinder stehen dennoch auf – als Vorstufe zur Abwanderung.

Nach ziemlich vielen Gesprächen mit ziemlich vielen NMS-Lehrern (die charakteristischerweise so wenig wie die kritischen Eltern genannt werden wollen) möchte ich einen von ihnen mit einer allen gemeinsamen Sorge zitieren: „Ich habe in meiner Klasse alles – von potenziellen Sonderschülern bis zu Hochbegabten. Es ist einfach unmöglich, die gemeinsam zu unterrichten. Die Schwachen verstehen nicht, was ich sage, und langweilen sich – die Guten haben es längst verstanden und langweilen sich auch. Das wird nicht besser, wenn ein zweiter Lehrer dabei ist: Spricht er leise, verstehen ihn nur zwei, drei Kinder, spricht er laut, so stören wir uns gegenseitig.“ Ich füge an, dass der zweite Lehrer oft nicht einmal vom selben Fach ist, weil es zum Beispiel nicht genug Mathematiklehrer gibt.

Die „alte Hauptschule“ war diesbezüglich in meinen ­Augen das progressivere Modell, indem sie wie die teure, internationale Gesamtschule meines jüngsten Sohnes funktionierte: Es gab drei Leistungsgruppen, und Schüler konnten durchaus in Sprachen in der ersten, in Mathematik aber in der letzten Gruppe sein sowie von einer Gruppe in die nächste auf- oder absteigen. Die erste Leistungsgruppe erreichte durchwegs AHS-Niveau.
Ich will nicht vorweg bezweifeln, dass auch viele Kinder der NMS dieses Niveau erreichen, aber ich befürchte, dass sie es schwerer erreichen werden: Einer extrem inhomogenen Schülergruppe eine anspruchsvolle Materie beizubringen, trifft zwingend auf die Schwierigkeiten, die der angeführte Lehrer mir beschrieben hat. (Erste diesbezügliche Untersuchungen haben das zwar gegeben, aber sie blieben unveröffentlicht.)

Zur grünen Linken hält man meiner Befürchtung das Beispiel Finnlands entgegen, wo auch alle Schüler bis 14 Jahre in einer Klasse sitzen. Aber man vergisst zweierlei: In Finnland kommen nur 14 Schüler auf einen Lehrer, und es gibt viel weniger Kinder mit Migrationshintergrund. Deshalb hinkt der Vergleich. Doch nachdem Unterrichtsministerin Claudia Schmied genügend Zeitungen genügend lang mit Inseraten gefüttert hatte, um in redaktionellen Beiträgen die Vorzüge der NMS ohne kritische Einwände vorzutragen, genießt diese Schulform sogar bei fortschrittlichen VP-Funktionären uneingeschränktes Vertrauen.

Auch ich sehe in ihrer Bereitschaft, die NMS zu akzeptieren, einen großen Fortschritt, weil damit endlich ein ideologiefreier Wettbewerb möglich geworden ist – nur dass es meines Erachtens ein Wettbewerb bleiben muss: Die Eltern müssen die freie Wahl zwischen NMS und gymnasialer Unterstufe haben.

Vielleicht verstehen das zumindest die Grünen, die im Landbau zu Recht vor „Monokulturen“ warnen: Wenn bei einer Monokultur etwas schiefgeht – etwa ein resistenter Schädling auftritt –, ist nämlich alles verloren. Das sollte man auch bei Schulen für möglich halten: Wenn man die NMS wirklich flächendeckend zur einzigen Schulform macht und dabei etwas schiefgeht, können wir durchaus hinter das aktuelle PISA-Niveau zurückfallen.

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