Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Die Grünen und der Verkehr

Die Grünen und der Verkehr

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Rote wie grüne Funktionäre sind in seltenem Einklang mit roter wie grüner Basis angetan von der rot-grünen Wiener Koalition. Ich auch, obwohl ich weder ein Roter noch ein Grüner, sondern ein typischer Wechselwähler bin. Aber in Wien habe ich rot und auf Bezirksebene grün ­gewählt, weil klar war, dass es zu einer Koalition kommen würde, und weil diese beiden Parteien in wichtigen Punkten ihres Programms – insbesondere Integrationsfragen – übereinstimmen und eine solche Übereinstimmung die wichtigste Voraussetzung für halbwegs effizientes Handeln ist.

Vor allem die Grünen setzen hohe Erwartungen in das rot-grüne Experiment. Sie riskieren jedoch eine Entwicklung, die die FPÖ in der Koalition mit Wolfgang Schüssel zu spüren bekam: Als, noch dazu sehr kleiner, Juniorpartner einer etablierten Partei mit ähnlichem Programm und dem starken Michael Häupl an der Spitze könnten sie schon bei den nächsten Wahlen als Schmiedl neben dem Schmied und damit überflüssiger Steigbügelhalter betrachtet werden.

Sie müssen daher alles tun, um als unverzichtbare eigenständige Kraft wahrgenommen zu werden, und es wird vor allem an Maria Vassilakou als Stadträtin liegen, ob das ­gelingt. Ihre wichtigste Kompetenz ist die der Gestaltung des Wiener Verkehrs – daher wird für die Zukunft der ­Grünen entscheidend sein, ob sie darin erfolgreich ist.

Die Grünen sind mit der Forderung nach der 100-Euro-Jahreskarte für Öffis in den Wahlkampf gezogen, und ich bedauere, dass sie damit nicht durchgedrungen sind. In meiner Stadt der Zukunft wäre die Öffi-Benützung nämlich überhaupt gratis und würde über eine kommunale Steuer finanziert: Das sparte künftig Fahrkartenautomaten, und vor allem stiegen die Wiener weit stärker vom Auto auf „Öffis“ um.

Zwar tauchten sofort Leute auf, die erklärten, dass sie sich nie aus ihrer Wohnung wegbewegen – aber es gehen auch nicht alle Leute in die städtischen Schwimmbäder und tragen trotzdem über ihre Steuern zu deren Finanzierung bei. Über H. C. Straches Einwand, dass dann auch „Ausländer“ gratis fahren könnten, tröstete vielleicht die Werbewirkung von Gratis-Öffis für den Tourismus hinweg.

Ich hielte die Steuerfinanzierung des öffentlichen Verkehrs daher für ein wirklich zukunftsträchtiges Experiment und die 100-Euro-Jahreskarte zumindest für einen Schritt in die richtige Richtung.

Eine andere grüne Idee ist die Auto-Maut für die Innenstadt. Auch die halte ich für prinzipiell vernünftig, wenn die Einnahmen der Errichtung entsprechend preiswerter Großgaragen dienten. Nur sehe ich auch für dieses Projekt wenig Chancen, denn man müsste erst die Garagen bauen und dann die Maut einführen, und so funktioniert das leider nie.
Stattdessen könnten die Grünen versucht sein, verkehrsberuhigende Projekte im Detail durchzuführen. Ein solches Projekt kann man derzeit im grün dominierten 7. Wiener Gemeindebezirk beobachten: Eine „Projektgruppe“ hat die Gardegasse, eine winzige, abschüssige Verbindungsgasse der Burggasse mit der Neustiftgasse, zur „Fußgängerzone“ mit „Radweg“ erklärt und dort, wo die Gardegasse in die Burggasse mündet, etwa zehn Burggasse-Parkplätze für „Einspurige“ reserviert.

Ich wohne im Haus gegenüber und kann den Erfolg präzise beobachten:
• Auf den „einspurigen“ Parkplätzen gibt es jeden Tag Strafzettel für ein Auto, denn sie werden von längst nicht so vielen Motor- und Fahrrädern beansprucht, wie verzweifelte Autofahrer nach einer Parklücke suchen,
• denn durch die „Fußgängerzone Gardegasse“ fallen ­etliche weitere Autoparkplätze weg.
• In dieser Fußgängerzone habe ich noch nie einen Fußgänger gesehen, der nicht dort wohnt, denn die Garde­gasse hat zwar einige sehr schöne Häuser, aber sonst bietet sie keine Attraktionen. (Und vor den schönen Häusern wehren jetzt abgrundtief hässliche Metallpfosten Autos ab.)
• Vor allem gibt es gleich gegenüber die große, höchst attraktive „Fußgängerzone Spittelberg“, deren Lokale jetzt durchwegs darunter leiden, dass die sowieso schon schwierige Parkplatzsituation durch das Projekt Gardegasse noch schwieriger geworden ist.
• Einzige Profiteure des Projekts sind die wenigen Bewohner der „Fußgängerzone Gardegasse“, durch die zwar schon vorher nur wenige, jetzt aber keine Autos mehr fahren.
• Nur müssen jetzt alle Autos, die von der unteren Burggasse in die Neustiftgasse wollen, um stadtauswärts zu ­fahren, bis hinunter zum Volkstheater, um dort über zwei Ampeln in sie einzubiegen, weil sie nicht mehr durch die Gardegasse können und auch alle parallelen Gassen Einbahnen in umgekehrter Richtung sind.

Ich kann dieses Projekt so präzise beurteilen, weil ich es so unmittelbar miterlebe, ohne dass man mir Parteilichkeit vorwerfen könnte: Ich habe hier kein Auto, sondern benutze nur „Öffis“.

Nach neun Monaten, nicht vielleicht bevor sie es durchgeführt haben, wollen die Grünen die Anrainer fragen, was sie von dem Projekt halten. Die wollen nicht so lange warten und haben schon jetzt eine Bürgerinitiative dagegen ­gebildet, die in den umliegenden Lokalen Unterschriftenlisten auflegt.

Es scheint mir sinnvoll, wenn möglichst viele Wiener diese konkrete grüne Initiative beurteilen: Wenn die ­zukünftige grüne Verkehrspolitik nämlich so beschaffen ist, sehe ich schwarz (oder rot): Autoverkehr beseitigt man nicht, indem man ihn punktuell sinnlos erschwert und ­damit rundum verdichtet.

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