Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Die krisengebeutelte Inflation

Die krisengebeutelte Inflation

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Mit 0,7 Prozent meldet die EU soeben die niedrigste Inflationsrate ihrer Geschichte. Die USA, bei denen die Notenpresse seit 2008 auf Hochtouren läuft, bringen es auf 1,1 Prozent. In Japan ist Premier Shinzo Abe ganz euphorisch, dass es ihm dank 250 Prozent Staatsschulden erstmals gelungen ist, die Deflation zu beenden.

Schon vor zwei Wochen hat Eva Linsinger daher die Frage gestellt, wo denn die Inflation bleibt, von der „jeder Ökonomiestudent im ersten Semester lernt, dass sie unausweichlich ist, wenn Staaten die Notenpresse anwerfen“ und vor der uns (voran deutsche) Wirtschaftswissenschafter seit Jahren angsterfüllt warnen.

Von Linsinger mit dem Widerspruch zur Realität konfrontiert, sprachen die Ökonomen entweder von einem „Rätsel“ (Florian Wakolbinger von der Gesellschaft für angewandte Wirtschaftsforschung), verwiesen auf die gestiegenen Aktienpreise, die bisher freilich nie zur Inflation gerechnet wurden (Christian Helmsteiner, Chefökonom der IV) oder trösteten sich mit der unleugbaren Verteuerung von Nahrungsmitteln. Noch lieber verschieben sie ihre Prophezeiung freilich in eine unbestimmte Zukunft, in der „das dicke Ende schon noch kommen“ würde.

Karl Popper zöge nach so viel realer Falsifikation eine weitere Möglichkeit in Betracht: dass der behauptete Zusammenhang zwischen Gelddrucken und Inflation in dieser Form einfach falsch ist.

Folgende Gegenthese bietet sich an: Die Inflation unterbleibt trotz immer größerer Mengen billigen Geldes, weil die Nachfrage nach Waren in den entwickelten Industriestaaten seit mindestens 20 Jahren hinter dem Angebot herhinkt.

Denn seit damals stagnieren allenthalben die für die Massenkaufkraft entscheidenden Löhne zu Lasten des Shareholdervalue, und die Bedürfnisse wohlhabender Shareholder sind a) relativ gesättigt und sie haben ihr Geld b) eben in Shares geparkt. Dem steht ein gigantisches, jederzeit abrufbares Warenangebot gegenüber: So gut wie alle Unternehmen haben Überkapazitäten.

Wie sollen sie ihre Waren unter diesen Voraussetzungen teurer an den Mann bringen? (Wie soll zum Beispiel die ­Autoindustrie ihre Preise erhöhen, obwohl ihre Kapazitäten nur zu 60 Prozent ausgelastet sind?)
Die aktuelle Wirtschaftskrise hat das Missverhältnis von Angebot und Nachfrage ab 2008 auf die Spitze getrieben: Zu Lasten steuerzahlender Konsumenten wurden wohlhabende Bankaktionäre gerettet; Angstsparen löst Konsumfreude ab; Banken geizen trotz Geldschwämme mit Krediten; und Angela Merkels Sparkurs verhindert, dass Staatsausgaben den Rückgang privater Konsumausgaben wettmachen.

Nicht zuletzt ist auch nirgends zu sehen, was Waren teurer machen sollte. Die meisten Rohstoffpreise stagnieren (auch die Minen haben Überkapazitäten), und Energie wird dank Fracking und Windkraft nicht teurer – die Krise vermindert den Bedarf an beidem. Und steigende Arbeitslosigkeit verhindert mit Sicherheit, dass Waren dank steigender Löhne teurer werden.

Es scheint mir daher keineswegs rätselhaft, dass es angesichts dieser vielfach reduzierten Nachfrage und eines beliebig ausweitbaren Angebotes keine Inflation gibt. Denn auch dass Preise sich gemäß Angebot und Nachfrage bilden, lernt man im ersten Semester.

Mit ihren unleugbaren Ausnahmen ist diese These problemlos zu vereinbaren: Die Preise von Immobilien steigen sehr wohl, weil das Angebot städtischen Baugrundes nicht vermehrbar ist. Desgleichen die Preise seltener Mineralien (wie Gold oder Coltan) und vor allem von Nahrungsmitteln: Auch Anbauflächen lassen sich nicht so schnell ausweiten.

Zuletzt ist auch der Anstieg der Aktienpreise leicht mit meiner These vereinbar: Ihre Stückzahl ist ihrem Wesen nach begrenzt – wenn Zocker unglaublich viel billiges Geld zur Verfügung haben, muss ihr Preis (nicht ihr Wert) hochschießen.

Im Internet bin ich zumindest auf den deutschen Volkswirt Klaus Fritsch, einen Ex-Spitzenmanager der Realwirtschaft, gestoßen, der meine These stützt und seine Analyse der Inflation folgendermaßen resümiert: „Eine Erhöhung der Geldmenge in einer Volkswirtschaft löst nur dann inflationäre Tendenzen aus, wenn dieses Zusatzgeld auch wirklich Nachfrage mobilisiert und wenn nicht ausreichend Ressourcen für eine Erhöhung der Angebotsmenge verfügbar sind. In schwacher Konjunkturlage trifft beides nicht zu. Zum ­einen wird nur in einem Teil der Fälle zusätzlicher Konsum ausgelöst (eben wegen der schlechten Aussichten wird durch zusätzliches Geld auch kaum Investitionsnachfrage angeregt). Zum anderen wird das Angebot bei schwacher Konjunktur mit Leichtigkeit einer erhöhten Nachfrage folgen können und somit gegebenenfalls sogar preissenkende Effekte ermöglichen.“

Vor allem relativiert Fritsch das emotionalste Argument der Inflationswarner: Dass es zwischen den Weltkriegen zur Hyperinflation kam, lässt sich damit erklären, dass Deutschland die Notenpresse anwarf, nachdem der Krieg durch die Vergeudung von Rohstoffen, die Zerstörung von Fabriken und die extreme Dezimierung der arbeitsfähigen männlichen Bevölkerung für das knappste denkbare Warenangebot gesorgt hatte.

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