Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Die griechische Tragikomödie

Die griechische Tragikomödie

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Griechenland praktisch pleite“, „Zerreißprobe für den Euro“, waren die Schlagzeilen der Woche. Die Medien lieben sie, denn bad news verkaufen sich besser. Die USA und Großbritannien lieben sie, denn sie lenken von der Schwäche des Dollars und des Pfunds ab. Die Deutschen lesen sie gern, denn sie geben ihnen Gelegenheit, sich nach der „starken Mark“ zurückzusehnen. Und in der EU liest man sie gar nicht so ungern, denn man genießt es, ihre Schwächen zu ­orten.

Von dort zur Realität: Griechenland erbringt etwa zwei Prozent der EU-Wirtschaftsleistung. Wenn es pleitegeht, verbrennt es etwa so viel Geld, wie General Motors soeben verbrannt hat. Kalifornien, das einen wesentlichen Teil der US-Wirtschaftsleistung erbracht hat, ist seit Jahren so gut wie pleite, aber niemand hat darin eine Gefahr für den Dollar gesehen. Damit will ich keineswegs behaupten, dass das griechische Desaster belanglos oder völlig harmlos wäre – nur dass es in seiner Bedeutung maßlos übertrieben wird.

Im Übrigen ist es ein Desaster der besonderen Art: Griechische Unternehmen funktionieren gar nicht so schlecht, und das Land hat erstaunlich viele Millionäre – sie zahlen nur, wie die meisten anderen Wirtschaftstreibenden auch, erstaunlich selten Steuern. Der griechische Staat, nicht unbedingt „Griechenland“ ist praktisch pleite. Die Regierung tut dazu eine ganze Menge: Sie leistet sich zum Beispiel, fünf Prozent des BIP für die Armee auszugeben, während sich der Schnitt der EU mit zwei Prozent begnügt. Ein großer Teil des Militärhaushalts fließt in die deutsche und französische Militärindustrie, die aufjaulte, wenn dieser Geldstrom aufhört. So heult Deutschland auf, dass es bei der Sanierung Griechenlands am meisten zum Handkuss kommt.

Nun stelle man sich diese Waffeneinkäufe in Verbindung mit der abenteuerlichen Korruption vor, die zu den Markenzeichen des Landes gehört. In der Rangliste der „Sauberkeit“ im öffentlichen Raum, den „Transparency international“ jedes Jahr erstellt, liegen die Griechen an 72. Stelle gleichauf mit Ländern wie Montenegro oder Bulgarien, dem die EU erst kürzlich die Zahlungen gestoppt hat.

Ich bin daher nicht unbedingt sicher, ob es sinnvoll ist, Griechenland durch verbilligte Kredite zu retten – es könnte auch pleitegehen, und die Banken, die wegen der extrem hohen Zinsen, also der Kehrseite eines extrem hohen Risikos, griechische Staatsanleihen gekauft haben, verlören ihr Geld. Sie haben es schließlich dank des niedrigen Diskontsatzes der EZB extrem billig erhalten und daher in extrem hohem Ausmaß geborgt, um solche Staatsanleihen zu kaufen, statt Kredite zu vergeben. Das hat, etwa auch bei der Deutschen Bank, zu den enormen Gewinnen des letzten Jahrs geführt – da scheint mir der Verlust aus Griechenland verkraftbar.
Selbst dass – wegen des eingangs beschriebenen übertriebenen Gezeters – der Euro noch ein paar Cent gegenüber dem Dollar verlöre (die er bald wieder aufholte), wäre keine Katastrophe, denn es erleichterte der EU ihre Exporte in Konkurrenz zu den USA.

Allerdings gibt es bereits die Voraus-Schlagzeilen von der hohen Verschuldung Portugals – dessen Wirtschaftsleistung einmal mehr winzig ist –, aber auch Spaniens, die den Euro vielleicht ernsthaft schwächen könnte, und das wird als ­Argument verwendet, die Kredithingabe an Griechenland zu verteidigen.

Nur lässt sich gerade dieses Argument auch umdrehen: Müssen Spanier und Portugiesen aus der „Rettung“ Griechenlands nicht schließen, dass es gar nicht so schlimm ist, durch Jahre über die eigenen Verhältnisse zu leben? Ich verstehe zu wenig von der Materie, um meiner Sache sicher zu sein – der Chef des IWF, Dominique Strauss-Kahn, versteht sehr viel davon und meint, dass man Griechenland gezielt helfen und es gleichzeitig zu sinnvollen Einsparungen zwingen kann – ich denke etwa an die Kürzung der Mili­tärausgaben.

Das Amüsante ist, dass viele Griechen dennoch gegen die Einschaltung des IWF auf die Barrikaden steigen, denn er ist dafür bekannt, seine Kredite mit Auflagen zu verbinden, auch wenn die unter Strauss-Kahn milder geworden sind und nicht gleich das gesamte Wirtschaftsgeschehen ab­würgen. Dies scheint mir das eigentliche Problem der Sanierung einer Volkswirtschaft mit einer Gemeinschaftswährung: Solange es die Drachme oder die Lira gab, haben die italienischen oder griechischen Patienten – denn das waren sie immer – ihre Währung einfach abgewertet, und das hat ihnen erlaubt, leichter zu exportieren, aber weniger zu importieren: Die Bevölkerung hat weniger ausländische Waren kaufen können – ist also de facto zu sparen gezwungen gewesen –, hat das aber nicht so eindeutig wahrgenommen.

Wenn man dagegen den Euro hat, gibt es nur eine Möglichkeit des Sparens: niedrigere Einkommen bzw. Sozialleistungen zu akzeptieren. Das aber ist – obwohl es rein wirtschaftlich fast aufs Gleiche herauskommt – psychologisch ungleich schwerer zu verkraften und für Gewerkschaften meist undenkbar. Als ich vor zwanzig Jahren als Chefredakteur der österreichischen Ausgabe der „Wirtschaftswoche“ über Vor- und Nachteile des Euro geschrieben habe, habe ich das als seinen größten Nachteil angeführt: Er würde die notwendige Anpassung einer Volkswirtschaft an schwierigere Verhältnisse erschweren. In den USA funktioniert der Dollar trotzdem: Seit Kalifornien fast pleite ist, wird dort auch weniger verdient.

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