Die USA hängen die EU endgültig ab

Peter Michael Lingens: Die USA hängen die EU endgültig ab

Peter Michael Lingens

Drucken

Schriftgröße

Mittlerweile lassen die Wirtschaftsdaten keinen Zweifel mehr zu: Während die EU, voran die Eurozone, trotz des Nachholbedarfs der ehemaligen Ostblock-Länder auf ein weiteres Jahr mit Mini-Wachstum zusteuert (1,3 und 0,8 Prozent), wuchsen die USA im dritten Quartal mit einer Rate von 3,5 Prozent. Wie hier immer vorhergesagt, ist selbst Europas „Wachstumslokomotive“ Deutschland zum Stillstand gekommen: Die EU-Kommission sagt Angela Merkel & Wolfgang Schäuble für 2015 Nullwachstum voraus und meint, dass der „Exportweltmeister“ an die Rezession schrammen könnte – Österreich hat das wie Frankreich und Italien bereits geschafft.

Während die Arbeitslosigkeit in EU und Eurozone zweistellig bleibt (11,5 Prozent) und in Griechenland oder Spanien nach wie vor um die 25 Prozent ­liegt, ist sie in den USA unter die Sechs-Prozent-Marke – wie im Jahr vor der Krise – gesunken. Die Häuser, die damals reihenweise leer standen, weil ihre Eigentümer die Raten nicht mehr zahlen konnten, sind wieder bewohnt und nicht mehr zu Spottpreisen zu kaufen, denn die Häuserpreise steigen wieder. General Motors, das nach der Krise pleite war, ist Kopf an Kopf mit VW wieder zweitgrößter Autoproduzent der Welt. Die US-Güterexporte stiegen zuletzt um 7,8 Prozent, die Unternehmen erhöhten ihre (in der EU stagnierenden) Investitionen um 5,5 Prozent und die Verbraucher erhöhten ihre Konsumausgaben. Der Staat trug durch massive Mehrausgaben kräftig zu diesem Wachstum bei, indem er seinen Verteidigungshaushalt um 20 Prozent erhöhte.

Zwar steht auch in den USA noch lange nicht alles zum Besten: Der Staat, der mehr für Rüstung ausgibt, hat weiter zu wenig Mittel, die desolate Infrastruktur zu sanieren; das für die Zukunft so wichtige Bildungswesen liegt weiter im Argen; und vor allem die Kluft zwischen Arm und Reich ist unverändert gespenstisch und steht einer dauerhaft stabilen Wirtschaft im Weg. Aber genau diese gefährliche Verteilungsungerechtigkeit ist in der EU kaum geringer; nicht einmal der deutsche Staat saniert seine verlotternde Infrastruktur; und Österreich streicht trotz der fortgesetzten
PISA-Misserfolge die Stundenzahl seiner Begleitlehrer. So bleibt als entscheidender Unterschied: In den USA hat die Wirtschaft entschieden wieder Tritt gefasst – in der ­Eurozone läuft sie Gefahr, in eine Abwärtsspirale zu trudeln.

In zwei Bereichen waren die Voraussetzungen in der EU von vornherein schlechter: Es gibt hier nicht die großen, kaum besiedelten Flächen, die trotz unbestreitbarer Umweltgefahren einen Fracking-Boom ermöglicht hätten. Und von den wertlosen „Wertpapieren“, die US-Banken bis 2008 in Massen produzierten und die die zentrale Ursache der Finanzkrise gewesen sind, haben die USA nur 30 Prozent erworben, Europas Banken dagegen über 60 Prozent. ­Europas Bankwesen war daher weit stärker angeschlagen. Doch der Rest der jetzt so unterschiedlichen wirtschaftlichen Performance resultiert aus der ungleich besseren US-Wirtschaftspolitik:

• Es wurde nicht jede schwache Bank zulasten der Steuerzahler gerettet, sondern 2000 Banken wurden zulasten ihrer Aktionäre zugesperrt. Die ursprüngliche Trennung zwischen Geschäfts- und Investmentbanken wurde wieder eingeführt. Während selbst große Banken Europas noch immer mit Kapitalknappheit kämpfen, ist der US-Banken­apparat schon wieder bärenstark und vergibt genügend Kredite.

• Während die EZB im Sinne Deutschlands eigentlich nur die Inflation bekämpfen darf, die in der aktuellen Situation nicht die geringste Rolle spielt, konnte die FED von Beginn an konjunkturpolitische Maßnahmen setzen. Ihr jüngstes „Quantitative Easing“ (QE), das Wolfgang Schäuble zuletzt massiv kritisierte („Die lockere Geldpolitik ist die Ursache, nicht die Lösung der ökonomischen Probleme“), hat sehr wohl zu vermehrten US-Krediten und Investitionen beigetragen. (Schäubles Widerstand gegen das Bereitstellen von billigem Geld liegt eine völlige Verkennung der Ursache von Inflation zugrunde: Sie kommt nur zustande, wenn eine hohe Geldmenge tatsächlich in Umlauf gelangt und auf eine nicht vermehrbare Gütermenge trifft.)

• Von der Pleite bedrohte US-Bundesstaaten konnten sofort durch die FED gestützt werden, während Deutschland der EZB eine solche Politik verboten hatte.

• Während die USA immer für die Kredite an ihre ­wirtschaftsschwachen Bundesstaaten gutstanden und ihnen damit akzeptable Zinsen ermöglichten, wehrte sich Deutschland massiv gegen Eurobonds, die zur Sanierung schwacher EU-Staaten viel geeigneter als martialische Rettungsaktionen gewesen wären.

Vor allem aber haben die Amerikaner ihre hohen Staatsschulden nicht hysterisch durch einen über alle Bundesstaaten gestülpten Spar-Pakt im Blitztempo abtragen ­wollen, weil die Zinsen dieser Schulden extrem niedrig sind und es auf absehbare Zeit auch bleiben werden. ­Daher haben die USA nicht riskiert, dass allseitiges Sparen jede Konjunktur zwingend abwürgen muss, weil es keine Verkäufe ohne Einkäufe geben kann. Quod erat demons­tran­dum.

[email protected]