Peter Michael Lingens: Diesel-Dämmerung

Peter Michael Lingens: Diesel-Dämmerung

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Österreichs Autofahrer-Club ÖAMTC- „rät“ den Haltern von 360 000 betroffenen Dieselfahrzeugen „stark an“, dem Rückruf des VW-Konzerns Folge zu leisten „weil es sein könnte, dass zu einem späteren Zeitpunkt die Typgenehmigung zurückgezogen wird". Der deutsche ADAC ist deutlicher: er fordert die Teilnahme an der Rückrufaktion, weil das deutsche Kraftfahrzeug-Bundesamt bereits klargestellt hat, dass es den Fahrzeugen andernfalls die Typengenehmigung entzieht.

In einem Land mit starkem Verbraucher-Schutz – ich wage einmal mehr den Hinweis auf die USA - hätten man von den Autofahrer-Clubs allerdings mehr als gute Ratschläge erwartet: Nämlich Verhandlungen mit VW über die Frage, in welcher Form der Konzern den betroffenen Fahrzeughaltern die auf sie zukommenden Unannehmlichkeiten abzugelten gedenkt.

• indem er ihnen für den Zeitraum, den ihr Wagen in der Werkstatt steht, einen Leihwagen zur Verfügung stellt? • oder indem er die Rechnung für einen fremden Leihwagen der gleichen Fahrzeugklasse bezahlt?

Denn dies ist ja kein Rückruf auf Grund eines nicht vorhersehbaren Problems (etwa der unerwartet mangelnden Qualität eines zugelieferten Teils) sondern es ist ein Rückruf auf Grund einer von VW aktiv gesetzten Manipulation. Eine solche bedingt daher nach menschlichem Ermessen einen Anspruch auf Schadenersatz. Und ein Schaden ist natürlich auch gegeben, wenn jemand sein Fahrzeug nicht zur Verfügung hat weil es in einer Werkstatt steht um umgerüstet zu werden.

Die Luft bliebe sauberer, wenn die zwanzig Insassen eines Diesel-betriebenen Autobusses jeder für sich mit einem PKW führen.

Ein Autofahrer-Club wäre daher noch vor dem Verein für Konsumenteninformation die nächstliegende Organisation um einen entsprechenden Muster-Prozess zu führen – vermutlich reichte die bloße Einleitung eines solchen Verfahrens, um VW zu einem außergerichtlichen Vergleich mit allen betroffenen Auto-Besitzern zu bewegen. Aber zumindest vom ADAC ist ja bereits bekannt, dass sein Verhältnis zur deutschen Autoindustrie ein ganz besonderes ist: Bis vor kurzem hat er deutsche Autos auch in seinen Statistiken über „Zuverlässigkeit“ davor bewahrt, hinter ausländische Produkte zu rutschen.

Auch das Verhältnis des deutschen (österreichischen) Autofahrers zu deutschen Autos ist ein besonderes: VW hat bisher auf Grund des Abgas –Skandals keinerlei Rückgang der Verkäufe zu verzeichnen. Deutsche wie Österreicher halten die Autos von VW unverändert für die besten – und bezüglich der „Spaltmaße“ und der „Straßenlage in Grenzsituationen“ sind sie das wahrscheinlich auch.

Obwohl die Probleme mit VW- Dieselmotoren im Alltagbetrieb ziemlich nervig sein können: Einen Golf-Diesel, den ich als Firmenfahrzeug einsetzte, tauschten wir schon nach wenigen Wochen gegen einen Benziner, weil er immer wieder plötzlich an Kraft verlor. Das ließ sich nach dem versierten Rat des Händlers (der offenbar nicht zum ersten Mal mit dem Problem konfrontiert wurde) zwar beheben, indem man den Wagen alle paar Wochen eine Stunde lang auf der Autobahn „ frei fährt “ – aber wir hatten dazu nicht die nötige Geduld.

Geeichte VW-Fahrer haben sie offenbar sehr wohl: ich traf in der Folge auf eine Reihe von Golf- und Polo- Besitzern, die diesen Ratschlag schon immer brav befolgt hatten und damit glücklich geworden waren.

Trotzdem habe ich mich gefragt, wie sie sich über einen Renault oder Nissan mit vergleichbaren Problemen geäußert hätten. Und habe mich nicht zuletzt darüber gewundert, dass ich in den großen deutschen Auto-Zeitschriften, deren treuer Leser ich seit vierzig Jahren bin, noch nie über dieses offenbar gar nicht so seltene Diesel-Problem des Golf gelesen habe.

Nur einmal las ich in „Auto Motor Sport“ den doppelseitigen Beitrag eines Experten für Mobilität, der ganz allgemein die Meinung vertrat, dass die Zukunft des Auto-Antriebs nicht bei Diesel-Motoren liege. Doch damit war er entschieden ein Außenseiter. Deutsche Diesel schienen unschlagbar.

In Wirklichkeit gibt es seit Jahren ein Diesel-Problem, das in Brüssel nur dank des umfassenden Lobbyismus der deutschen Autoindustrie und der deutschen Regierung nicht schon lange hoch gekocht ist: Der Dieselmotor wird nicht wirklich damit fertig, dass er ungleich mehr Stickoxyd als ein Benzinmotor ausscheidet.

Nur Dank ständiger deutscher Interventionen hat Brüssel bisher so getan, als sei das nicht so kritisch wie der CO2 – Ausstoß. In Wirklichkeit ist Stickoxyd genau so ein Treibgas – nur darüber hinaus ein weit stärker gesundheitsschädliches. Weshalb der erlaubte Grenzwert in den USA entsprechend niedriger festgelegt wurde.

Auch der Gesundheitsbehörde der EU konnte dieses Problem nicht völlig entgehen. Schließlich schätzt man, dass die hohen Stickoxyd-Werte in der Luft verkehrsreicher städtischer Straßen EU-weit für rund 300 000 Tote pro Jahr verantwortlich sind. Gegen Deutschlands Städte läuft daher seit längerem ein Verfahren wegen fortgesetzter Stickoxyd-Grenzwert-Verletzung.

In seinem bisherigen Zentrum stehen vorerst allerdings nicht PKWs sondern städtische Autobusse, die, wie auch in Österreich, vorwiegend mit großen Dieselmotoren angetrieben werden. Dabei wird Ihnen behördlich pro befördertem Insassen eine weit höhere Menge erlaubter Abgase als einem PKW zugestanden, so dass vom Standpunkt der Luft-Verschmutzung folgende absurde Situation gegeben ist: die Luft bliebe sauberer, wenn die zwanzig Insassen eines Diesel-betriebenen Autobusses jeder für sich mit dem PKW führen.

Aber selbst dieses gegenüber PKWs weit überhöhte Limit überschreiten die Autobusse im realen Verkehr noch massiv. Und zwar - darin liegt zur Zeit die besondere Tücke- bei manchen jüngere Modellen noch mehr als bei älteren mit älterer Abgas-Technologie: Diese neun Modelle sind nämlich mit der aufwendigen Add-Blue-Technik ausgestattet, bei der eingespritzter Harnstoff zu einem stärkeren Abbau der Stickoxyde führen soll- nur dass das bloß bei hohen Betriebstemperaturen funktioniert, wie sie städtische Autobusse im häufigen Stopp und Go – Verkehr kaum je erreichen.

Die von der EU geforderte Umstellung der Autobus-Flotten deutscher Städte auf Stickoxyd –ärmeren Betrieb stößt daher auf ein gröberes technisches Problem. Wobei ich mir gar nicht vorstellen will, wie groß es erst wäre, wenn das erlaubte Abgas- Limit für Autobusse so festgesetzt würde, wie es vom Standpunkt der Gesundheit einzig vernünftig wäre – nämlich pro beförderter Person nicht höher als beim PKW.

P.S. Jenen Lesern, die unverdrossen überzeugt sind, dass US-Behörden den Abgas-Betrug von VW nur aufgedeckt haben, um der deutschen Auto-Industrie zu schaden (der US-Auto-Industrie zu nutzen) gebe ich zu bedenken, dass auch bei sehr großen Motoren die japanische Hybrid-Technik die Nase vorne hat. Weshalb VW nach Aussage des neunen Konzern-Lenkers Matthias Müller in Zukunft dem Elektro-Antrieb deutlich mehr Aufmerksamkeit schenken will. Wobei Toyota den Deutschen allerdings schon wieder ein Stück voraus sein könnte: Die Japaner bringen noch im Herbst mit dem „Mirai“ das erste serienmäßige Brennstoff-Zellen-Auto heraus – dort verbrennt Wasserstoff mit dem Sauerstoff der Luft zu Wasserdampf.