Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Dollar-Mythen versus Euro-Defizite

Dollar-Mythen versus Euro-Defizite

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Der Euro schwächelt schon wieder: Sein Stand gegenüber dem Dollar war vergangene Woche der niedrigste seit 16 Monaten. Europas Banken haben noch nie so viel Geld bei der EZB gebunkert, weil sie einander schon wieder nicht trauen. Und die UniCredit bekam das Misstrauen der Anleger so drastisch zu spüren, dass ihre Aktie vom Handel ausgesetzt werden musste. Dabei hat Mario Monti Italien ein durchaus glaubwürdiges Sparpaket verordnet; in Spanien und Portugal setzen die Konservativen den Sparkurs der Sozialisten energisch fort; in Griechenland knirschen die Bremsen. Die Eurozone müht sich redlich, die von Angela Merkel ausgegebenen Sparparolen umzusetzen. Dennoch lesen sich die aktuellen Daten der USA besser: Ihr Wirtschaftswachstum ist deutlich höher; die großen Banken agieren ohne gröbere Probleme; die prophezeite hohe Inflation ist bisher ausgeblieben.

Dabei sind die fundamentalen Relationen unverändert: Die USA sind in ihrer Gesamtheit wie in Gestalt ihrer einzelnen Bundesstaaten weit kritischer als Eurozone oder EU verschuldet. Aber im Gegensatz zum Euro hat der Dollar kein existenzielles Problem.

Die gängige Behauptung, dass es der zentrale Konstruktionsfehler der Euro- gegenüber der Dollarzone sei, dass sie Volkswirtschaften derart unterschiedlicher Leistungsfähigkeit vereint, hält der Überprüfung nicht stand. Leistungsfähigkeit misst sich als BIP pro Kopf. Das ist bei Idaho mit 34.000 Dollar nur halb so groß wie bei Connecticut mit 65.000 Dollar und beträgt nur ein Fünftel der 174.000 Dollar des District of Columbia. Das liest sich nicht anders als Portugals 21.000 Dollar gegenüber Hollands 48.000 und ­Luxemburgs 104.000 Dollar pro Kopf.

Zwar verschaffen gemeinsame Sprache und größere ­Mobilität der Dollarzone einen gewissen Vorsprung an ­Homogenität, aber der reicht kaum aus, ihre so viel höhere Widerstandskraft zu erklären. Zumal die Dollarzone auch mittel- und südamerikanische Problemländer umfasst – von Guatemala bis Argentinien mit seiner fixen Dollarbindung.

Bleiben meines Erachtens nur zwei Erklärungen für die so viel größere Stabilität des Dollar: der – aktuell irrationale, historisch aber begründete – Glaube an seine Stärke; und der Umstand, dass die USA in ihrer Gesamtheit für ihn haften. Rational ist Letzteres zentral.

Ich glaube daher, dass die aktuellen Beschlüsse zur Stabilisierung des Euro zwar nützlich sind – dass sie das zentrale Manko aber nicht beseitigen. „Schirme“ reichen nicht. Zumindest die Eurozone – besser die EU – muss in ihrer Gesamtheit für den Euro gutstehen, wie sie das ja auch versprochen hat. Das geht keineswegs zwingend mit einer faktischen Transferunion einher: Der reiche District of Columbia schenkt dem armen Idaho so wenig Geld, wie die USA Milliarden nach Guatemala überweisen. Auch gemeinsame Schuldenbremsen oder Defizitgrenzen sind nicht verankert.

Die Stabilität des Dollar ist vielmehr in seiner Tradition und in der Haltung und Kompetenz der Fed begründet: Die Welt ist überzeugt, dass sie den Dollar sicher auf dem von ihr gewünschten Kurs hält. Deshalb glaube ich, dass die Spekulationen gegen den Euro erst enden werden, wenn man der EZB ähnliche Kompetenzen einräumt – wenn auch sie notfalls unbegrenzt Euros drucken kann.

Das bedeutet nämlich keineswegs zwingend, dass sie es auch tun muss. Der Mechanismus sollte vielmehr wie seinerzeit im Kalten Krieg funktionieren: In dem Augenblick, in dem die USA glaubwürdig erklärt hatten, dass sie bei ­einem Vorstoß der UdSSR nach Europa Atomwaffen einsetzten, war diese Gefahr vom Tisch. In dem Augenblick, in dem die EU der EZB die Vollmacht zum unbegrenzten Gelddrucken erteilte, wettete niemand mehr gegen den Euro.

Wenn die These stimmt, dass eine Notenbank mit unbegrenzter Feuerkraft die entscheidende stabilisierende Wirkung auf ihre Währung ausübt, ist auch nicht so unerklärlich, dass die Inflation in den USA nicht im befürchteten Ausmaß zunimmt: Die Fed muss eben gar nicht so viele Dollars in Umlauf bringen, wie man ihr aufgrund ihrer Kompetenzen und der geldpolitischen Haltung ihres Präsidenten Ben Bernanke zutraut (beziehungsweise vorwirft.)

Die US-Banken sind bei Kreditvergaben aus Erfahrung sowieso vorsichtiger. Die Privathaushalte agieren aus der gleichen schlechten Erfahrung sparsamer. Und der Staat muss sparsamer haushalten, weil die Republikaner alles andere ablehnen. Obwohl jede Menge billiger Dollars verfügbar wären, werden sie also – zumindest vorerst – nicht leichtfertig ausgegeben. Und demnächst will die Fed ­bekannt geben, in welchen Schritten sie die Zinsen sukzessive auf ein normales Maß anhebt.
Ich bin gespannt, welche Strategie sich langfristig als erfolgreicher erweist: das mäßige amerikanische Sparen mit der Rückendeckung einer Fed, die theoretisch unbegrenzte Feuerkraft besitzt – oder unser energisches Sparen im Verein mit einer EZB, die sich ausdrücklich dagegen verwahrt, uneingeschränkt nachzuladen.

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