Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Ein Machtmensch als Liberaler

Ein Machtmensch als Liberaler

Drucken

Schriftgröße

Dieser Tage hat Christian Konrad den Raiffeisen-Hof endgültig übergeben. Der angeblich mächtigste Mann des Landes übergab die Macht so selbstverständlich, wie er sie ausgeübt hat: ohne Zögern und ohne Bedauern.

Er hat den souveränen Machtgebrauch auch nicht er­lernen müssen – er war ihm angeboren, wie dem Stier der Nacken.

Konrad konnte Angst einflößen. Aber eben auch Schwerst­arbeit leisten: Erst unter seiner Ägide ist Raiffeisen von einer schläfrigen Genossenschaft auf einem geschützten Markt zu einem straff geführten, konkurrenz­fähigen Unternehmen auf dem freien Markt geworden.

Doch obwohl er alles getan hat, Raiffeisen „marktfähig“ zu machen, hat er ökonomische Effizienz nie für das einzige Ziel einer Wirtschaftsordnung gehalten. Das hat zu einem frühen Schlüsselerlebnis in meiner Beziehung zu ihm geführt: Vor gut dreißig Jahren traf ich ihn erstmals bei einem Heurigen, den die Industriellenvereinigung (IV)als damaliger Haupteigner von „trend“ und profil für führende Mitarbeiter veranstaltete.

Unter dem Eindruck diverser Pleiten österreichischer Unternehmen befand ich mich damals gerade am Höhepunkt eines Manchester-liberalen Schubs, der mich auch jetzt gelegentlich heimsucht. „Man muss auch bei uns, wie in den USA, endlich die Möglichkeit haben, überzählige Arbeitskräfte sofort loszuwerden“, erklärte ich jedem, der es hören wollte.

Und zur Rechten der IV hörte man es nur zu gern.
Auch Christian Konrad hörte mir eine Zeit lang zu. Dann nahm er mich durch funkelnde Brillen wie zum Abschuss ins Visier. „Haben Sie schon einmal jemanden gekündigt?“
„Nein.“
„Dann reden S’ ned so daher!“
„Aber wir brauchen Flexibilität …“
„Wissen S’, was Sie brauchen? Jemanden, der Ihnen sagt, was das heißt: Jemanden sofort kündigen. Obwohl der vielleicht 20, 30 Jahre im Betrieb ist. Obwohl der Frau und Kinder hat und vielleicht no Raten für sei Häusl zahlen muss. I kann Ihnen nur wünschen, dass Sie das nie erleben.“ Seit damals schätze ich Christian Konrad.

profil hat gelegentlich über mangelnde Flexibilität und diese oder jene „Affäre“ im Raiffeisen-Sektor berichtet. Es bestand das Gentleman-Agreement, dass ich Konrad solche Berichte, die ihn quasi direkt betrafen, angekündigt habe. Seine einzige Forderung bestand dann darin, dass ich einen von ihm benannten Funktionär dazu befragen sollte, was sowieso der journalistischen Sorgfaltspflicht entsprach. Mir aber ist vor allem ein Nachsatz im Ohr: „Wenn er an Blödsinn sagt, dann is er selber schuld.“ Es hat über kritische Raiffeisen-Berichte nie eine Auseinandersetzung gegeben.

Der „Presse“, die ihn zur größten Auseinandersetzung mit dem profil befragte, erzählte er, er hätte Herausgeber, Chefredakteur und Autor hinausgeschmissen, wenn sich der Bericht über pädophile Übergriffe Kardinal Groers als falsch herausgestellt hätte. Ich hege an dieser Reaktion wenig Zweifel und glaube auch nicht, dass offene Häuslraten die Betroffenen geschützt hätten. Aber nicht anders als für den so völlig anders sozialisierten Oscar Bronner war auch für Christian Konrad „richtig oder falsch“, nicht sein privater Ärger, das entscheidende Kriterium.

Der so machtbewusste, so ÖVP-nahe praktizierende Katholik war ein denkbar liberaler Eigentümer. Ich glaube sogar, dass zwischen seinem klaren Weltbild, seinem offenen Bekenntnis zur Macht und diesem liberalen Verhalten ein innerer Zusammenhang besteht: Sichere Menschen haben nicht ständig Angst vor Auseinandersetzungen. Wahrscheinlich schätzte Konrad sogar (ähnlich wie Gerd Bacher), dass sein Gegenüber seine Meinung nicht verriet – Machtmenschen haben nichts für Feiglinge über. Ich riskiere nach fünfzig Berufsjahren sogar folgende Behauptung: Das Problem unserer Branche sind weniger übermächtige Eigentümer als Journalisten, die sich vermutetem Missbrauch der Macht vorbeugend unterwerfen.

Wirklich autoritär sind viel eher Eigentümer, die von sich behaupten, Macht weder zu wollen noch zu besitzen: In der „Kronen Zeitung“ des seligen Hans Dichand ist durch Jahrzehnte nicht ein Text erschienen, der seiner Meinung widersprach. Im profil hat wahrscheinlich ein Viertel der Meinung Christian Konrads widersprochen.

Weil Eigentum sonst pervertiert würde, gab es freilich deutlich mehr Texte, die sich mit seiner Meinung deckten: Korruption zum Beispiel war ihm in einem Ausmaß zuwider, das in der ÖVP sonst selten anzutreffen ist. Auch Falschheit und – bei allem Bekenntnis zu „Leistung“ – haltlosen Ehrgeiz mochte er nicht besonders. Vor allem aber brachte Konrad der FPÖ stets ein ähnliches Maß an Misstrauen entgegen wie ich oder heute Christian Rainer. Ihm war genauso klar, in welchem Ausmaß die demagogischen die sachlichen Fähigkeiten blauer Funktionäre übertrafen. Er durchschaute von Anfang an, wie sehr sie zum Futtertrog drängten. Und er weiß um die Gefahr, dass einige von ihnen Grundwerte dieses Landes infrage stellen.

Er wird es wahrscheinlich christliche Werte nennen. Ich habe dafür keinen Namen – aber wir meinen das Gleiche.

[email protected]