Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Eine Ohrfeige für Obama!

Eine Ohrfeige für Obama!

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„Wer Informationen über mögliche Verstöße gegen Menschenrechte aufdeckt, hat Anspruch auf internationalen Schutz.“ Dass dieser Satz von der „Hohen Kommissarin der Vereinten Nationen für Menschenrechte“, ­Navanethem Pillay, ausgesprochen wurde, sollte die Bürger dieser Nationen mit Genugtuung und Hoffnung erfüllen: Manchmal gelangen auch in der hohen Politik die genau richtigen Menschen ins genau richtige hohe Amt.
Was für eine Frau: erste Farbige mit eigener Anwaltskanzlei in Südafrika; erste farbige südafrikanische Harvard-Doktorandin für Völkerrecht; die Juristin, deren Appellation Nelson Mandela Zugang zu Rechtsanwälten verschaffte; Richterin beim Ruanda-Tribunal der UN, in dem erstmals Schuldsprüche wegen „Völkermordes“ gefällt wurden (einschließlich der Klarstellung, dass Vergewaltigung als Teil des Verbrechens zu werten ist); schließlich bis 2008 Richterin am Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag. Eine Laufbahn, die einiges mit der von Barack Obama gemein hat – jenes Barack ­Obama, dem Pillay mit ihrer Erklärung zu Edward Snowden eine schallende Ohrfeige versetzt.

Seit Wochen versuche ich mir vorzustellen, wie sich ­Obama bei seiner Jagd nach Snowden fühlt. Dass sie ihm behagt, kann (will) ich nicht glauben. Aber warum fehlt ihm, der nicht mehr wiedergewählt werden darf, der Mut, die Amerikaner wenigstens darauf hinzuweisen, dass Snowden eine ernsthafte Frage – die nach dem richtigen Verhältnis von Sicherheitsbedürfnis und Schutz der Privatsphäre – aufgezeigt hat? Wieso heizt er die Wut gegen Snowden an, statt sie zu kühlen? Ich kann (will) es mir nur durch seine besondere Situation erklären: Ein farbiger Präsident, dem politische Gegner allen Ernstes mit Erfolg nachsagten, ein verkappter Moslem zu sein, weil er als Kind in Indonesien lebte, würde womöglich wie die Kennedy-Brüder abgeknallt, wenn er die „Sicherheit der USA“ nicht lauter als selbst George W. Bush im Munde führte – und damit auch jeden eigenen Zweifel übertönte.

Für das Verhalten von Angela Merkel, François Hollande, Mariano Rajoy oder Faymann & Spindelegger weiß ich keine Entschuldigung – nur eine vage Erklärung: dass man vermutlich umso „flexibler“ wird, je höher man aufsteigt. Dass man psychisch in der Lage sein muss, sich gegenüber den eigenen Wählern wortreich als glühender Anwalt des Datenschutzes auszugeben und gleichzeitig wortlos zuzusehen, wie ein konkreter Mensch wie ein Tier dafür gehetzt wird, dass er den bisher massivsten Anschlag auf diesen Datenschutz anprangert.

Es ist der unglaubliche Mangel an Rückgrat und ganz gewöhnlichem Mitgefühl, der mich an Europas politischen Eliten so bestürzt. Dazu die Anpassungsfähigkeit so vieler Juristen westlicher Staatskanzleien, die diesen Eliten die formalen Argumente zur Rückgratlosigkeit liefern: Indem sie akzeptieren, dass ein Akt bürgerlicher Notwehr als Schwerverbrechen gewertet wird, während die massive Gefährdung eines Bürgerrechtes rechtlich folgenlos bleibt.

Das Verhalten der EU ist dadurch charakterisiert, dass ein Vorstoß Catherine Ashtons zur Verteidigung ­„Europäischer Werte“ in Fragen der Überwachung so gut wie unvorstellbar war und ist. Eher könnte er aus den USA kommen: Eine Reihe von Bürgerrechtsorganisationen erwägt, vor dem „Supreme Court“ Klage zu erheben, dass das NSA-Programm die US-Verfassung verletze – und aufgrund der Zusammensetzung dieses Gerichts ist es nicht unmöglich, dass sie Recht bekommen. US-Höchstrichter haben – etwa in der Frage der Diskriminierung Farbiger – die erstaunlichsten Urteile gefällt: Statt sich mit der Feststellung der Regierung zufriedenzugeben, dass Schwarze de jure sowieso gleichberechtigt wären, haben sie entschieden, dass diese Gleichberechtigung de facto nicht gegeben und daher erst durch Aktionen der Regierung herzustellen sei. (Darauf basierten in der Folge die Quotenregelungen zugunsten Farbiger.)

Die Höchstrichter könnten daher auch die Behauptung Obamas, es gäbe sowieso elf Richter, die die Einleitung von Überwachungsaktivitäten bewilligen müssten, darauf überprüfen, ob es nicht de facto zu einem reinen „Abnicken“ der rund 1000 Anträge pro Jahr gekommen ist. Denn in elf Jahren wurden nur zehn Anträge zurückgewiesen.

Die USA sind unverändert ein freiheitsliebendes Staatswesen: Optimist, der ich bin, hoffe ich, dass Amerikas Bürger und höchste Richter sich nicht bieten lassen, was Europas Bürger und Justizfunktionäre akzeptieren.
Österreich könnte immer noch eine positive Rolle in dieser Auseinandersetzung spielen: Es könnte ein Gesetz auf den Weg bringen, das von vornherein klarstellt, dass jemand, der eine geringfügige Gesetzesverletzung begeht, um eine schwerwiegende Rechtsverletzung aufzudecken, nicht mit Strafe zu verfolgen ist.

Natürlich hätten gute Juristen auch angesichts der aktuellen Gesetzeslage einen Weg finden können, Snowden Asyl zuzugestehen, aber wir sollten nicht darauf angewiesen sein, eine österreichische Navanethem Pillay zur Hand zu haben.

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