Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Eine neue Volkspartei erfinden

Eine neue Volkspartei erfinden

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Kürzlich hat der schwarze Ex-Intendant Kurt Bergmann aufgefordert, den ORF neu zu gründen, um ihn aus den Fängen der Parteien zu befreien. Ich kann mir zwar auch ­einen besseren ORF vorstellen, aber ungleich dringlicher erscheint mir die Neugründung der ÖVP. Sie funktioniert weit schlechter als der ORF und hat weit mehr Marktanteile verloren. Und was soll man von einem neuen ­Obmann halten, der erklärt, er entscheide frei über die Zusammensetzung seines Teams, und die Horror-Innen­ministerin ­Maria Fekter zur neuen Finanzministerin macht, weil das Ober­österreichs Landeshauptmann Josef Pühringer befriedigt und den Wirtschaftsbund besänftigt?

Schon in den Tagen des Rücktritts von Josef Pröll hat die „Presse“ den aktuellen Zustand der ÖVP so charakterisiert: „Stärker als alle anderen Parteien repräsentiert sie das Grundproblem des politischen Systems in Österreich: Es ist hoffnungslos von gestern und wird von einer Funktionärskaste beherrscht, in der nicht an die Macht der Ideen geglaubt wird, sondern an die Idee der Macht … Michael Spindelegger ist der perfekte Obmann für die ÖVP. Da sie ohnehin nur noch in der Vertretung der letzten verbliebenen Klientel, nämlich der Beamten und der Bauern, besteht, hat es nach zwei Jahren mit einem Agrarlobbyisten an der Spitze in der Parteilogik Sinn, nun einen Mann des Beamten- und Angestelltenbundes nach oben zu hieven.“

Es ist charakteristisch, dass der Wirtschaftsbund, in dessen Reihen doch auch Leute sitzen, die nicht ausschließlich „Funktionäre“ sind, bei dieser Kür am wenigsten zu reden hatte, obwohl ihm mit Wolfgang Schüssel der erfolgreichste und mit Erhard Busek der ideenreichste VP-Obmann entstammen und er mit Reinhold Mitterlehner den attraktivsten Kandidaten vorwies.

Der verschnupfte Bundeskämmerer Christoph Leitl und der verzweifelte Erhard Busek meinen, die ÖVP hätte besser zuerst herausgefunden, wofür sie eigentlich steht und wo sie hinwill, und dann erst einen neuen Lenker gekürt. So gut das klingt, möchte ich widersprechen: So wie die SPÖ seinerzeit zuerst in Bruno Kreisky einen Obmann neuen Zuschnitts gebraucht hat, ehe der ihr ein neues Profil geben konnte, hätte auch die ÖVP zuerst eine Persönlichkeit zum Obmann gebraucht, die fähig ist, die Partei mit einem neuen Geist zu erfüllen.

Doch eben das macht ihr ihre Struktur so schwer wie möglich: Die „Funktionärskaste“ der Bünde reproduziert vor allem bündische Funktionäre, und die „Landesfürsten“ wollen niemanden, der ihre Macht begrenzt. Wann immer Josef Pröll das in seiner Amtszeit versuchte, haben sie ihn gezüchtigt.

Der eigentliche Herr der ÖVP ist Erwin Pröll, der stolz darauf ist, in seinem Leben nur ein einziges Buch gelesen zu haben. Deshalb ist die ÖVP nicht zu reformieren, sondern nur neu zu erfinden: als rechtsliberale Reformpartei, die all das auf ihre Fahnen schreibt, was die ÖVP (und kaum minder die SPÖ) links liegen lässt:

• Es muss zu einer kostensparenden Arbeitsteilung zwischen Bund und Ländern ohne Rücksicht auf den feudalen Besitzstand der „Landesfürsten“ kommen.

• Das Geld, das sich auf diese Weise sparen lässt, muss Schulen und Universitäten zugute kommen.

• Das Wahlrecht muss so reformiert werden, dass die Wähler ihre Mandatare auch wählen und bei Versagen abberufen können. Und es muss Alleinregierungen zur häufigsten, nicht zur seltensten Regierungsform machen. Das geht nicht schnell – aber es geht. Wenn man es ­angeht.

Theoretisch widerlegt ausgerechnet die „Presse“ meine Forderung, eine neue Partei zu gründen, statt die Volkspartei zu reformieren: Durch Jahrzehnte war sie eine angeblich „bürgerliche“, in Wirklichkeit ÖVP-hörige Zeitung von nur äußerlich großem Format. Dennoch ist sie in nur wenigen Jahren unter ihrem neuen Chefredakteur ­Michael Fleischhacker zu einem unabhängigen, rechtsliberalen Blatt von wirklichem Format geworden, neben dem der linksliberale „Standard“ immer älter aussieht.

Es gibt also die erfolgreiche Erneuerung von innen ­heraus. Aber die setzte mit Horst Pirker einen Verleger mit Visionen und die „Kleine Zeitung“ als Finanzpolster ­voraus. Bei der ÖVP sind keine vergleichbaren Voraussetzungen gegeben. Statt Horst Pirker hat sie Erwin Pröll – und also hat sie Michael Spindelegger statt Michael Fleischhacker.

Finanziell wäre eine neue rechtsliberale Partei ein geringeres Risiko als die Erneuerung der „Presse“: Österreichs Industrie lechzt danach, einer solchen Partei auf die Sprünge zu helfen. Das mag zwar manche potenziellen Wähler im ersten Moment abschrecken, hat aber innere Logik: Unter Industriellen und Managern herrscht die größte Sorge, dass Österreich wegen des permanenten Reformstaus und der Vernachlässigung von Bildung und Forschung den Anschluss an die Zukunft verliert.

Diesen Anschluss nicht zu verlieren muss aber auch das wichtigste Anliegen aller Arbeitnehmer und vor allem aller jungen Österreicher sein. Sie bezahlen die Rechnung für ­alles, was ÖVP und SPÖ versäumen. Und werden unter der Kanzlerschaft eines H. C. Strache erfahren, dass Österreich ökonomisch wie politisch durchaus noch einmal gefährden kann, was es erreicht hat.

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