Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens: Das Ende des Palästinenserstaates

Peter Michael Lingens: Das Ende des Palästinenserstaates

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Dass die USA nicht mehr auf der „Zweistaatenlösung“ beharren, bedeutet nach menschlichem Ermessen deren Ende. Damit nach menschlichem Ermessen den Anfang der Quasi-Annexion weiter Teile der besetzten Gebiete durch Israel. Damit nach menschlichem Ermessen das Ende des „Palästinenserstaates“.

Denn auch wenn Trump Geschichte sein wird, wird es Präsidenten der USA kaum mehr möglich sein, Benjamin Netanjahus Erben Einhalt zu gebieten.

Österreichischen oder deutschen Journalisten ist es zwangsläufig kaum möglich, Israels Verhalten unbefangen zu beurteilen – schließlich haben ihre Großeltern, wenn nicht Eltern, den Holocaust zugelassen. Ich habe das zufällige Glück, Widerstandkämpfer als Eltern zu haben, und bin dennoch ebenso befangen: Mich prägt die Erzählung meiner in Auschwitz inhaftierten Mutter, wonach sich die Jüdinnen auf dem Weg zur Gaskammer mit den Worten „Nächstes Jahr in Jerusalem“ von ihr verabschiedet haben.

Meine Befangenheit ging so weit, dass ich die Gründung eines feindlichen palästinensischen Staates an der Flanke Israels für verfehlt gehalten habe. Obwohl ich wusste, dass den Palästinensern Unrecht geschehen ist, habe ich für zulässig gehalten, ihre arabischen Nachbarn zu zwingen, sie bei sich aufzunehmen, so wie Österreich und Deutschland nach dem Krieg Millionen zu Unrecht vertriebener Sudetendeutscher aufgenommen haben. Ich war – nicht ganz so unberechtigt – der Meinung, dass der neue Palästinenserstaat mehr Probleme schaffen als lösen würde.

1993 wurde er – nach tatkräftiger Vorarbeit Bruno Kreiskys – mit dem Abkommen von Oslo dennoch begründet, und ich habe meine Meinung modifiziert: Wenn es diesen Staat gibt, dann sollte es ein funktionierender Staat sein, dessen Bewohner nicht weiterhin danach streben, Israel von der Landkarte zu tilgen.

Zu diesem Wunsch hat beigetragen, dass Issam Sartawi, der damalige inoffizielle Außenminister der PLO, zu einem meiner besten Freunde wurde: Wenn wir einander trafen, teilte ich seinen Traum eines mit Israel befreundeten Palästinenserstaates als demokratischem Nukleus der arabischen Welt.

Eine Zeit lang schien das nicht einmal völlig ausgeschlossen.

Aber Sartawi wurde 1983 für seinen Wunsch nach Aussöhnung genauso von radikalen Arabern ermordet wie zwölf Jahre später Israels Yitzhak Rabin von einem radikalen Juden.

Die EU ist mangels miliärischer Potenz ohne Einfluss im arabischen Raum.

Jetzt hat Donald Trump erklärt: „Die Zweistaatenlösung ist nicht der einzige Weg zum Frieden. Es sind die Parteien selber, die einen Vertrag aushandeln müssen.“ Das klingt zwar nicht unvernünftig, ist aber eine leere Phrase: Die Palästinenser haben für solche Verhandlungen so gut wie keine Karte in ihrem Blatt. Nur die USA konnten, wenn sie das wollten, Israel zu einem Kompromiss zwingen, indem sie ihn zur Voraussetzung für Waffenlieferungen machen. Es war schon bisher, auch unter Barack Obama, kaum vorstellbar, dass sie dieses Druckmittel gegenüber ihrem wichtigsten Verbündeten – und gleichzeitig dem einzigen demokratischen Staat der Region – anwenden würden.

Seit Trump ist es ausgeschlossen. Die Palästinenser haben bei ihrem Bemühen, einen eigenen Staat zu begründen, nur mehr die EU auf ihrer Seite – und die ist mangels militärischer Potenz ohne Einfluss im arabischen Raum. Bei der Bevölkerung dieses Raumes gibt es zwar Sympathien für die „palästinensische Sache“, aber die jeweiligen Regierungen haben sich mit dem Status quo arrangiert: Ägyptens, Jordaniens oder Saudi-Arabiens Herrscher denken nicht daran, für einen Palästinenserstaat auf die Barrikaden zu steigen. Die Regierung des Irak ist wie Syriens Bashir al Assad mit den Problemen des eigenen Staates ausgelastet. Unter den Großmächten der Region tanzt nur der Iran aus der Reihe: Er will auch keine Zweistaatenlösung – sondern Israel von der Landkarte tilgen. Eben dies aber lässt nicht nur die USA fester hinter Israel stehen, sondern verhindert auch endgültig, dass sich Arabiens Regierungen doch vereint hinter den Palästinenserstaat stellen – für das sunnitische Saudi-Arabien ist mehr Einfluss des schiitischen Iran schlimmer als ein größeres Israel.

Die Palästinenser stehen wehrlos im Out. Sie haben nur das Abkommen von Oslo und die Moral auf ihrer Seite – wobei die Hamas diesen moralischen Anspruch seit jeher mittels fortgesetzten Raketenterrors relativiert. Ich stehe – ratlos – wieder dort, wo ich vor Oslo gestanden bin: Es gibt die Palästinenser, und sie haben keinen Staat. Ich fürchte, dass sie zum letzten ihnen verbliebenen Mittel greifen werden: Terror, vielleicht in Form einer neuen Intifada. Einen Ausweg kann man erträumen – so wie ich ihn in meiner grenzenlosen Naivität Issam Sartawi vorgeschlagen habe: „Warum können Israelis und Palästinenser nicht einen gemeinsamen Staat bilden?!“ – „Weil es dann kein ‚Jüdischer Staat‘ mehr wäre, und man den Juden das nicht zumuten kann“, hat Sartawi geantwortet.

Wahrscheinlich ist das so. Leider!

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Dieser Artikel stammt aus dem profil Nr. 9 vom 27.2.2017. Das aktuelle profil können Sie im Handel oder als E-Paper erwerben.