Peter Michael Lingens: Erfolgreich unanständig!

Die „Festung Europa“ hinter kilometerlangen Grenzzäunen ist möglich.

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Werner Faymann wachsen Flügel, seit seine Stellung in der Partei umstritten ist. Nicht nur wagt er immer öfter laut zu sagen, dass Europa ökonomisch besser führe, wenn die Staaten investierten, statt zu sparen, sondern auch in der Flüchtlingsdebatte hat er plötzlich eine klare Meinung und vertritt sie auch eloquent: Wer seine Debatte mit Lou Lorenz Dittelbacher über „Zäune“ im Fernsehen verfolgte, erlebte ihn kämpferisch und ließ sich von seiner zentralen Aussage „Zäune können das Problem nicht lösen“ durchaus überzeugen. Sofern man sie im Kopf um einen Nebensatz ergänzte: „Zäune sind sicher keine Lösung des Flüchtlings-Problems, die mit den humanen Werten Europas vereinbar ist.“

Denn ohne diesen Nebensatz muss ich ihm widersprechen: Israel vermochte mit seiner Mauer zu Palästina die Übergriffe von Terroristen signifikant zu vermindern. Die vier Meter hohen Drahtzäune, mit denen Spanien seine marokkanischen Enklaven Ceuta und Melilla umgeben hat, werden zwar gelegentlich von ein paar Kletterern überwunden, aber einen Massenansturm haben sie seit Jahren abgehalten. Und auch Ungarn hat sein Flüchtlingsproblem durch die Zäune an seinen Grenzen durchaus reduziert, indem es sein Durchbrechen gleichzeitig unter Strafe stellt und von 10 Flüchtlingen, die es durchlässt neun als Wirtschaftsflüchtlinge zurückschickt, auch wenn sie aus völlig zerbombten Städten kommen.

„Natürlich hätte Österreich an der Grenze zu Ungarn einen Drahtzaun errichten und jeden der ihn überwindet, bestrafen müssen.“

Die ungarische Haltung ist nicht erfolglos – sie ist nur maßlos unanständig seitens eines Landes, aus dem einmal 180.000 Menschen innerhalb weniger Wochen nach Österreich flohen und dort mit offenen Armen aufgenommen wurden, obwohl es damals beileibe kein reiches Land war.

Ein bisschen persönlich: Ich bin 1956 selbstverständlich aus meinem Zimmer wieder in das meiner Mutter gezogen, damit wir für ein Jahr einen ungarischen Arzt bei uns unterbringen konnten. Im Sinne Viktor Orbans hätte ich mich fragen müssen, warum er nicht aus Budapest, das die russischen Panzer beschossen, einfach nach Györ oder in die nahe Tschechoslowakei übersiedelt ist? Und ob er nicht bloß ein Wirtschaftsflüchtling war, der in den USA, wohin er schließlich emigrierte, ein besseres Leben suchte. Und natürlich hätte Österreich an der Grenze zu Ungarn einen hohen Drahtzaun errichten müssen, um sich abzuschotten.

Ich bin gegen Etiketten- Schwindel: Die EU könnte sich sehr wohl gegenüber Flüchtlingen abschotten, indem sie Zäune errichtete und ihr Durchbrechen als Strafdelikt ahndete. Die Zäune kämen zwar ziemlich teuer, aber als staatliche Großinvestition kurbelten sie die Wirtschaft an.

Die „Festung Europa“ ist möglich. Notfalls, indem man den bewachenden Soldaten wie in Ungarn erlaubt, von der Waffe gebrauch zu machen. Es ist das nur der Verrat all dessen, was Europa ausmachen sollte.

Flüchtlinge sollen wir nicht aufnehmen, weil wir nicht anders können – weil sie womöglich die Zäune niederrennen: Man braucht sie nur unter elektrische Spannung zu setzten und das bleibt wie in Auschwitz aus. Flüchtlinge sollen wir aufnehmen, weil es unerträglich sein sollte, als zufällige Bewohner eines unglaublich reichen, friedlichen Wirtschaftsraumes, dabei zuzusehen, wie in Syrien Frauen Männer und Kinder im Bombenhagel sterben oder in Afghanistan auf Minen treten.

Am Rande könnten wir im Hinterkopf haben, dass Europas arbeitsfähige Bevölkerung angesichts niedriger Geburtenraten schrumpft und dass Flüchtlinge eine besonders initiative Auslese aus der Bevölkerung darstellen – dass also eine gute Chance besteht, dass sich in zehn, fünfzehn Jahren herausstellt, dass sie unsere Wirtschaft gestärkt, statt uns Wohlstand gekostet haben.

Man wird „Wirtschaftsflüchtlinge“ leider aussondern und auf die Möglichkeit normaler Einwanderung verweisen müssen.

Aber selbst wenn sie uns etwas Wohlstand kosteten, wäre es unsere humane Pflicht, sie aufzunehmen. Ich schreibe „humane Pflicht“, weil ich ein „Ungläubiger“ bin. Polens streng gläubige neue Regierung ist besorgt, dass die Zuwanderung so vieler Muslime den christlichen Charakter des Landes gefährdet. Bitte wo ist der? Wo, wenn ich von Angela Merkel absehe, ist in der Politik der christliche Charakter dieses Europa?

Jetzt zu trivialeren Dingen: Zäune sind durchaus um einen Menschenstrom zu steuern. Jede Check-in -Halle jedes Flughafens belegt das. Johanna Mikl-Leitner fordert in Spielberg durchaus zu Recht „Eine Tür mit Seitenteilen, die Zäune sind.“ Es wird wahrscheinlich sinnvoll sein, dergleichen an mehren kritischen Stellen der „Balkanroute“ zu errichten und ganz sicher werden die Aufnahmezentren in Griechenland neben vielen Unterkünften eine Menge Zäune brauchen, um den Flüchtlingsstrom dort zu kanalisieren und zu sieben – man wird „Wirtschaftsflüchtlinge“ leider aussondern und auf die Möglichkeit normaler Einwanderung verweisen müssen.

Die entsprechenden Beschlüsse der EU sind sinnvoll – Österreich kann seine Leistungsfähigkeit unter Beweis stellen, indem es die ihm übertragene Aufgabe rasch erledigt.

Alles, was innerhalb Österreichs geschehen muss, ist voran eine Frage des Wollens: Wohnungen bauen, Übersetzer ausbilden, noch und noch Lehrer einstellen. Ausbildungszentren schaffen. Lehrlingsentschädigungen für Elternlose Jugendliche anheben (sie automatisch in die Mindestsicherung übernehmen). Unternehmen steuerliche Anreize bieten, Qualifizierungskurse für Ausländer durchzuführen. Usw.

Und es ist leider gleichzeitig eine Frage richtiger allgemeiner europäischer Wirtschaftspolitik: Ich bleibe dabei, dass Angela Merkels Spar-Pakt in einer Nachfrage- Krise die Wirtschaft zwingend hemmen, statt beflügeln muss. Und dass das die von ihr so eindrucksvoll geforderte Aufnahme von Flüchtlingen dramatisch erschwert.

Werner Faymann hat doppelt Recht, wenn er dringend Investitionen des Staates fordert: Im Bereich von Schulen, Wohnungen und Ausbildungszentren, deckten sich die Notwendigkeiten der Flüchtlingspolitik zu hundert Prozent mit dem, was Österreich sowieso im Interesse der eigenen Bevölkerung tun sollte.