Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Erwachsenwerden im Meinungsbordell

Erwachsenwerden im Meinungsbordell

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Es ist nicht anders als bei einem meiner Kinder: Plötzlich gewahr zu werden, dass profil 44 Jahre alt ist, ­erzeugt zuerst einmal die erschrockene Erkenntnis, schon verdammt alt zu sein – schließlich war ich 31, als ich es gehen lehrte.

Es war damals freilich eine ganz andere Zeitschrift: ein Monatsmagazin mit Hochglanz-Cover, den Erich Sokol oder der blutjunge Gottfried Hellnwein als Gemälde gestalteten. Gleichzeitig bot die Zeitschrift jedoch durchwegs anonyme Textbeiträge in einem Einheitsstil. Denn nach Bronners Vorstellung sollte profil „Time“ nacheifern: Der Leser müsse glauben, dass hinter der Zeitschrift die größte Redaktion des Landes stehe, die fehlerlos recherchierte Fakten wiedergebe, erläuterte er seine Vision.

Dass er sie dem Publikum und der Branche glaubhaft machen konnte, obwohl die Redaktion ganze vier Mann umfasste, zählt zu seinen einzigartigen Qualitäten: Jahrzehnte später vermochte er auf die gleiche Weise den „Standard“ trotz Mini-Redaktion als „Weltblatt“ zu verkaufen.
Den Österreichern fehlte der Vergleich.

Profil, wie es heute ist, entstand erst nach Bronners Abgang: Nach einer Übergangszeit, in der es, in der äußeren Form des Monatsmagazins, alle 14 Tage erschien und meines Erachtens eine fast so gute Zeitschrift wie heute war, kam es 1974, fast zeitgleich mit Bronners Ausscheiden, als Wochenmagazin heraus.

Ebenfalls zeitgleich erfolgte die Abkehr von Bronners Fiktion der „großen anonymen Redaktion“: Wie in der „Zeit“ (und anders als damals im „Spiegel“) schrieben profil-Redakteure ihre Texte ab 1974 in ihrem persönlichen Stil, bekannten sich klar zu ihrer Meinung und verantworteten beides mit ihrem Namen.

Ich halte das bis heute für eine nachhaltige verlegerische Entscheidung. Sie geschah unter dem Einfluss meines Freundes Karl Popper, der mich überzeugt hatte, dass es auch in der Wissenschaft kein meinungsloses Sammeln von Fakten gibt, sondern dass diese immer entlang einer These gesammelt werden – nur dass seriöse Wissenschafter (seriöse Journalisten) diese These in der Folge überprüfen, indem sie mit der gleichen Intensität recherchieren, was gegen sie spricht.

Nicht dass profil bei seinen Berichten nie geirrt hätte, aber die verlorenen Presseprozesse waren doch extrem selten.

Gleichzeitig erlaubte die persönliche Sprache, deren sich die Autoren ab 1974 bedienen konnten, etwas heute für profil Charakteristisches: die Verschmelzung von Journalismus und Literatur.

So wenig Oscar Bronner also das Äußere oder den Journalismus des profil geprägt hat, so entscheidend hat er seine „innere Haltung“ geprägt: indem er von der ersten Sekunde an klarstellte und garantierte, dass keine Partei oder Power-Group (und natürlich kein Inserent) den geringsten Einfluss auf den Inhalt der Zeitschrift haben werde. Das war damals in Österreich ein absolutes Novum. Wenn man davon absah, dass Bronner in mir einen Chefredakteur bestellte, dessen politische Haltung er schätzte, so hat er weder als Eigentümer noch selbst als Herausgeber jemals auch nur „empfohlen“, zu einer bestimmten Causa eine bestimmte Haltung einzunehmen.

„Redlichkeit“ war die einzige inhaltliche Anforderung, die er an Texte stellte.
Ich glaube, dass diese absolute Unabhängigkeit und journalistische Redlichkeit (die auch das Eingeständnis von Fehlern umfasst) bis heute das größte Atout des profil ist. Egal, ob Oscar Bronner, ob der Geschäftsführer des „Kurier“ oder ob innerhalb des „Kurier“ der Vertreter der Industriellenvereinigung oder der Generalanwalt von Raiffeisen das Sagen hat – innerhalb des profil hat es immer ausschließlich der Chefredakteur, der seit 1975 immer gleichzeitig Herausgeber ist. Und dieser Herausgeber war und ist immer eine unabhängige Persönlichkeit – eine andere würde von der Redaktion (die ihn laut Statut mit Dreiviertelmehrheit ablehnen kann) nicht akzeptiert.

Bis heute kann daher zu meiner Freude niemand sagen, dass profil „eigentlich rot“, „eigentlich schwarz“, „grün“ oder „rosa“ ist oder dass es „die Interessen der Wirtschaft“ – von der IV bis zu Raiffeisen – vertritt. Man kann die Zeitschrift diesbezüglich nur verleumden, was natürlich immer wieder lustvoll geschieht.

Nur dass profil nicht „blau“ ist, ist unbestreitbar – aber nicht, weil irgendein Eigentümer es forderte, sondern weil sich die FPÖ von einer liberalen Partei unterscheidet wie Barbara Rosenkranz von Hans-Dietrich Genscher.
Wenn die FPÖ einmal anders sein wird, wird auch ­profil sie anders darstellen.

Bei keinem anderen Medium bin ich dieser journalistischen Redlichkeit – und der zugehörigen eingehenden Recherche – so sicher.
Zuletzt zur qualitativen Entwicklung:

Das profil meiner Ära war über weite Strecken reichlich handgestrickt – auch wenn das nicht ganz ohne Charme war. Im Inneren herrschte die Unordnung meiner Sprunghaftigkeit: Cover-Storys konnten sich über 20 Seiten ziehen oder aus lediglich acht Karikaturen bestehen; mein Leitartikel konnte zwei oder sieben Seiten haben und mein Steckenpferd „Arbeitszeitverkürzung“ ritt ich mitten im Heft nicht minder ausführlich. Den Cover selbst gestaltete der Karikaturist Erich Eibl im Nebenberuf, manchmal auch einer unserer Fotografen – denn für einen Art-Direktor fehlte die längste Zeit das Budget.

Sehr groß war der Abstand zu einer Schülerzeitung ­jedenfalls nicht.
Heute ist das Budget zwar schon wieder sehr knapp, aber optisch regiert nach wie vor echte Professionalität, und im Inneren herrscht strukturelle Klarheit und Selbstdisziplin: Wenn Christian Rainer mehr als eine Seite schreibt, dann ist es, wie bei seinem Kommentar zum KZ Ebensee, keine Zeile zu viel.

profil ist erwachsen.

Das gilt auch für seine Außenpolitik, die in meiner Ära vom ideologischen Kampf zwischen zwei damals sehr linken jungen Wilden – Erhard Stackl (heute „Standard“) und Joachim Riedl (heute „Zeit“) – und mir als freiwilligem CIA-Agenten dominiert wurde: Hinten feierte Riedl den Sturz des Schah, vorne hängte ich an meinen Kommentar drei Zeilen, in denen ich behauptete, man werde ihm noch nachtrauern. Hinten erregte sich Erhard Stackl über ­Margaret Thatchers Brutalität in Falkland, vorne gab ich ihr rundum Recht. Ein „Meinungsbordell“ nannte es Werner Schneyder.
Zwar gab es auch damals Sternstunden außenpolitischer Recherche – etwa wenn Otmar Lahodynsky bereits in Warschau wartete, als General Wojciech Jaruzelski die Macht ergriff –, aber dergleichen war eher die Ausnahme.

Abseits links-rechter Scharmützel war die Außenpolitik ein Stiefkind meiner Ära: Co-Chefredakteur Helmut Voska hatte so wenig dafür übrig, dass er Unterschriften gegen eine Kooperation mit dem „Economist“ sammelte, um sie den Eigentümern zu überreichen, als die den Vertrag über die Übernahme von zehn „Economist“-Seiten zum Preis eines ­profil-Mitarbeiters unterschreiben sollten. Die Kooperation kam gegen den Widerstand der Redaktion nicht zustande, und die Art und Weise ihres Scheiterns trug entscheidend dazu bei, dass ich im Jahr darauf das Handtuch warf.

Umso mehr genieße ich heute, dass profil solide recherchierte außenpolitische Berichte exzellenter Korrespondenten anbietet, die es durch ideologieferne Kommentare Georg Hoffmann-Ostenhofs ergänzt.

Ein wahrscheinlich entscheidender Schritt zum Erwachsenwerden.

Das Aufdecken von Skandalen war schon zu meiner Zeit eine Kernkompetenz der Zeitschrift und ist es auch heute – nur dass profil jetzt nicht mehr einsam aus der Masse ragt: Auch bei „Format“ oder im „Falter“ wird ausgezeichnet recherchiert.

Vor allem aber hat die Staatsanwaltschaft die Verfolgung von Wirtschaftskriminalität im Dunstkreis der Politik wieder zu ihrer Sache gemacht, während sie in meiner Ära Weltmeister der Verfahrenseinstellungen war.

Es ist zwar immer noch „gut, dass es profil gibt“ (so der Werbeslogan meiner Jahre), aber Kriminalität wird Gott sei Dank auch wieder von Amts wegen verfolgt und in Strafprozessen gerichtet.

profil ist diesbezüglich nur mehr von subsidiärer Notwendigkeit.
Zweite Kernkompetenz schon meiner Ära war die innenpolitische Berichterstattung, wobei uns zur Linken freilich Akteure wie Bruno Kreisky, Hannes Androsch oder Christian Broda zur Verfügung standen. Ihre Auseinandersetzungen waren Königsdramen, die man bloß aufzuzeichnen brauchte.

Dass die innenpolitischen Berichte des profil sich heute dennoch um nichts langweiliger lesen, ist ihrer außergewöhnlichen stilistischen Qualität zu danken – und der Frauen-Power des Magazins. Zwar habe auch ich schon damit begonnen, Frauen als Mitarbeiterinnen zu akquirieren, weil sie ums gleiche Geld weit besser als Männer schrieben, aber eine innen- und wirtschaftspolitische Redaktion der aktuellen Qualität hatte ich nie.
Und schon gar keinen Herbert Lackner und Sven Gächter als Stellvertreter.
In der Innenpolitik ist das profil von heute zwar nicht erwachsener, aber es bietet immer wieder auch echte ­Literatur, wie sie zu meiner Zeit fast nur Elfriede Hammerl kreiert hat.

Die zweifellos publikumswirksamste Qualitätssteigerung hat sich freilich in einem Ressort ereignet, das andere Nachrichtenmagazine gar nicht haben. Zwar schrieb schon Reinhard Tramontana in seinem „profan“, dessen Erfindung ich mir gutschreibe, bessere Satiren als Deutschlands „Titanic“, aber was Rainer Nikowitz jede Woche leistet, ist im deutschen Sprachraum einzigartig.

Um ihn beneide ich Christian Rainer am meisten. Ansonsten möchte ich ihm danken: Er führt diese Zeitschrift so, dass ich mich jede Woche aufs Neue darüber freue, wie sie sich entwickelt hat.

PS: Wie genussvoll meine diesbezügliche Situation ist, kann der Leser ermessen, indem er sich ausmalt, wie es Bruno Kreisky erginge, wenn er jede Woche mit der Entwicklung seiner SPÖ seit 1970 konfrontiert würde.

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