Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens: Flüchtlinge hautnah

Peter Michael Lingens: Flüchtlinge hautnah

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Unter den vielen Leuten, die derzeit über das „Flüchtlingsproblem“ fachsimpeln, gehöre ich zur Minderheit derer, die eine gewisse praktische Erfahrung im Umgang mit Flüchtlingen haben. Seit ich eine eigene Wohnung besitze, habe ich dort zehn Exemplare dieser angeblich gefährlichen Spezies beherbergt. Mein jüngster Sohn hat sein Zimmer mit einem Rumänen, danach einem bosnischen Moslem geteilt.

Eine Übersicht über die angeblich so schwierige Integration dieser Flüchtlinge sieht folgendermaßen aus: Eine Vietnamesin wurde Telefonistin. Eine Rumänin blieb als Krankenschwester, ihr mittlerweile geschiedener Mann arbeitet als Journalist für rumänische Zeitungen, beider Sohn ist nach Rumänien zurückgekehrt. Das Schicksal einer Bosnierin mit zwei Kindern, die nur drei Monate bei mir war, ist mir unbekannt. Der bosnische Bub, der mit meinem Sohn aufgewachsen ist, ist mittlerweile Vater zweier Kinder und hat in Niederösterreich sein eigenes Haus gebaut, in dem er auch seinen bereits pensionierten Vater und seine Mutter beherbergt, nachdem sie vor 17 Jahren bei mir ausgezogen sind. Seine jüngere Schwester studiert Medizin. Er selbst ist Werkzeugmacher in einem Top-Unternehmen. Alle genannten Personen haben Österreich mehr eingebracht als gekostet.

Ich behaupte, dass diese positive Bilanz kein Zufall ist, sondern absehbar war: Es sind besonders fähige und initiative Menschen, die es riskieren, in einem fremden Land mit einer fremden Sprache eine neue Existenz zu wagen.

Insofern müssen einheimische Arbeitskräfte in der Tat ihre Konkurrenz fürchten: Sie sind des Öfteren besonders leistungsfähig und strengen sich fast immer mehr an. Für Österreichs Wirtschaft ist das aber von großem Vorteil.

Bei den aktuellen Flüchtlingen haben wir es mit Menschen der Extraklasse zu tun.

Jemandem, der behauptet, das alles gelte vielleicht für ungarische, vietnamesische oder bosnische Flüchtlinge – nicht aber für Flüchtlinge aus Syrien oder gar Afghanistan – halte ich entgegen, dass Syriens Genpool derselbe ist, dem wir in Europa Mathematik, Physik oder Astronomie verdanken. Darüber hinaus kostet die Flucht aus Syrien so viel Geld, dass der Betreffende schon innerhalb seiner Heimat wirtschaftlich besonders erfolgreich sein oder einem eher bildungsnahen Milieu entstammen muss.

Es gibt zwar auch die syrischen und irakischen Bauern, die aus grenznahen Gebieten in Lager in Jordanien oder im Libanon geflohen sind und jetzt zu uns weiter fliehen – aber ich weigere mich ungebildete Leute für „dumm“ zu halten, die es übers Meer und zu Fuß bis Österreich geschafft haben.

Was Flüchtlinge aus Afghanistan betrifft, war ich selbst sehr skeptisch. Bis ich ihnen auf Spaziergängen und bei ­einem Deutschkurs begegnet bin: alle waren extrem höflich, alle konnten Englisch, manche sprachen drei, vier Sprachen, denn meist waren sie Monate, wenn nicht Jahre durch fremde Länder unterwegs.

Diese Leute für unbegabt zu halten, gestehe ich Österreichern zu, die sich zu Fuß von hier bis Indien durchschlagen, um dort eine Existenz zu begründen.

Ich behaupte: Bei den aktuellen Flüchtlingen haben wir es mit Menschen der Extraklasse zu tun, von denen das Land extrem profitieren kann.

Vorausgesetzt freilich, sie erhalten die Chance, rasch Deutsch zu lernen, sich beruflich rasch gemäß unseren Anforderungen zu qualifizieren und vor allem zu arbeiten. Und vorausgesetzt, die besonders vielen Jungen unter ihnen erzielen Schul- und Lehrabschlüsse oder können wie die Schwester „meines“ Bosniers studieren.

Dazu eine praktische Erfahrung: Vor zwei Wochen war ich in Wels an einem Gymnasium (BG/BRG Wels Dr. Schauerstraße), um mit Schülern der Oberstufe über das „Flüchtlingsproblem“ zu diskutieren: Ich habe selten intelligentere, eloquentere Diskutanten erlebt. Ein Drittel davon hat „Migrationshintergrund“ – von Bosnien bis Nigeria.

Es ist also offenkundig möglich, Migranten (Flüchtlinge) erstklassig auszubilden, wenn man sich darum bemüht. Was diese Schule offenbar in besonderem Ausmaß tut, denn zusammen mit ihren Lehrern hat ihr Direktor ein Konzept entwickelt, wie vorzugehen ist, wenn der Migrantenanteil von derzeit 50 Prozent in den ersten Klassen durch den Flüchtlingsstrom weiter ansteigt.

So will man unter anderem ältere Schüler mit Migrationshintergrund, die bereits gut Deutsch können, als „Tutoren“ für ihre jungen Mitschüler einsetzen. (Man hat das in der Vergangenheit schon einige Male mit Erfolg erprobt.) Gleichzeitig hält man angesichts eines Migranten-Anteils der Unterstufe von demnächst über 50 Prozent zusätzliche „Stützlehrer“ für unverzichtbar und hat diesbezüglich beim Landesschulrat um ein Zusatzbudget in der Höhe von 20.000 Euro im Jahr angesucht.

Der Landesschulrat musste das ablehnen: Die ihm auferlegte Sparpolitik ließ keine andere Entscheidung zu.

Ich erlaube mir, diese Sparpolitik für schwachsinnig zu halten. Und sehe in teuren Inseraten des Unterrichtsministeriums in Zeitungen eine Unverschämtheit.