Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Föderalismus, das verkannte Wesen

Föderalismus, das verkannte Wesen

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Wenn man so lange wie ich Journalist ist, stellt man mit einem gewissen Amüsement fest, dass man eigentlich jeden Kommentar, der ein wichtiges österreichisches Problem betrifft, mit dem Satz einleiten müsste: „Bereits vor vierzig Jahren wurde die Frage des – Thema auswechselbar – erfolglos diskutiert.“

Im konkreten Fall geht es um die Spitalsreform, bezüglich derer Gesundheitsminister Alois Stöger angeblich einen interessanten Vorschlag bereit hat, von dem Finanzminister Josef Pröll aber sogleich klarstellt, dass man ihn unmöglich „gegen die Länder“ verwirklichen kann.

Vor vierzig Jahren war meine Mutter, damals Ministerialrätin im Gesundheitsressort des Sozialministeriums, mit einer der vielen Fragen aus diesem Problemkreis befasst: Wie kann man verhindern, dass Landesfürsten sündteure Schwerpunktspitäler Rücken an Rücken errichten, statt dass ein bundesweiter Spitalsplan festlegt, dass jedes von ihnen einen sinnvollen Einzugsbereich abdeckt?

Meine Mutter hat vorgeschlagen, dass die Zuschüsse des Bundes für Schwerpunktspitäler nur bezahlt werden sollten, wenn ihr Standort einem Bundesspitalsplan entspricht. Aber es hat nicht wirklich funktioniert, denn die Landesfürsten haben kraft „Realverfassung“ ihre Wünsche jedenfalls durchgesetzt.

Das war eine von zwei Erfahrungen, die mich zu meiner höchst kritischen Einstellung zum „Föderalismus“ bewogen haben. Die zweite bestand darin, dass ich einmal in Zusammenarbeit mit einer steirischen Installationsfirma eine winzige Wiener Installationsfirma besessen habe und hoffte, dass die Steirer mich bei größeren Aufträgen unterstützen könnten. Vergeblich: Die Sicherheitsbestimmungen sind in Wien und der Steiermark so unterschiedlich, dass es zu viel Zeit (zu viel Geld) gekostet hätte, bis sich die Steirer darauf eingear­beitet hätten. Etwas Blöderes als neun verschiedene Sicherheitsver­ordnungen auf 84.000 Quadratkilometern ist mir kaum ­begegnet.

Allerdings muss ich gleich hinzufügen, dass meine zentral beamtete Mutter mir auch schon vor vierzig Jahren gestand, dass sie sich bestimmte Gesundheitsvorkehrungen Vorarlbergs dringend für das gesamte Bundesgebiet wünschte, weil sie im Ländle so viel kostengünstiger wären.
Föderalismus, so schließe ich daraus, kann offenbar sowohl kostensparend wie kostentreibend sein – es kommt auf die Sache und die Organisation an.
Der ehemalige Präsident des Nationalrats, Heinrich Neisser, hat in dem Sammelband „Was ist faul im Staate Österreich?“ eine Lanze für die kostensparende Funktion des Föderalismus gebrochen, und angesichts des laufenden Bundesländer-Bashing möchte ich ein paar Zahlen aus seinem Beitrag zitieren: Der Bund verfügt derzeit über mehr als 70 Prozent der Finanzmasse. Sein Anteil an den gemeinschaftlichen Bundesabgaben ist zwischen 2000 und 2007 von 68,6 auf 72,7 Prozent gestiegen, während der Anteil der Länder (inklusive Wien) von 17,2 auf 14,5 und der Anteil der Gemeinden (inklusive Wien) von 14,2 auf 12,8 Prozent gefallen ist. Dies, obwohl sie besonders dynamische Ausgabenbereiche – Spitäler, Pflege, Kindergärten – finanzieren müssen.

Trotz der explodierenden Verschuldung der Länder in den beiden letzten Jahren schneiden sie auch beim Schuldenmachen besser als der Bund ab: So betrug die Verschuldung pro Kopf im Bund im Jahr 2009 satte 20.174 Euro, die Verschuldung pro Kopf in Kärnten 2732 Euro und in Salzburg 1128 Euro. Die Länder haben nun einmal keine ÖBB.

Die derzeit viel zitierte Neuverschuldung macht 2010 pro Bundesbürger 596 Euro, pro Kärntner 475 Euro und pro Niederösterreicher bloß 269 Euro aus.

So problematisch solche Zahlen sind – es war der Bund, der Banken retten und die großen Konjunkturpakete schnüren musste –, muss ich in Summe doch Heinrich Neisser Recht geben: Es ist unfair, dem Bund die Bundesländer als „Schuldenmacher“ gegenüberzustellen. Ich fürchte, es wird auf beiden Seiten nicht gern gespart.

Eine Organisation ist umso kostengünstiger, je mehr sie dem Subsidiaritätsprinzip genügt: Alles, was eine Gemeinde sinnvoll erledigen kann, soll auch in den Gemeinden entschieden werden. Nur was dort nicht entschieden werden kann, sollen die Länder entscheiden. Nur was die nicht entscheiden können, soll der Bund entscheiden. Die Schweiz ist ein Musterbeispiel dafür, wie kostengünstig ein extrem föderal organisiertes Staatswesen ist, wenn klare Kostenverantwortung herrscht.

Vieles – etwa das Spitalswesen – muss zwangsläufig in mehrere Zuständigkeiten fallen. Kostengünstig funktioniert das dann, wenn es eindeutig geregelt ist: Für Schwerpunktspitäler kann es meines Erachtens eben nur einen Bundesspitalsplan geben. (Dass es viel zu viele weitere Spitalsbetten gibt, hat eine ganze Reihe anderer Gründe, die auch schon seit 40 Jahren diskutiert werden.)

Es hat daher immer wieder Versuche gegeben, die Kompetenzverteilung und Kostenverantwortung zwischen Bund und Ländern sinnvoll aufeinander abzustimmen – zuletzt den großen „Österreich-Konvent“.
Herausgekommen ist nichts.

Josef Pröll spricht jetzt davon, dass er sehr wohl eine Verwaltungsreform (= Föderalismusreform) in Angriff nehmen will – was aber bedingte, dass Bund und Länder aufeinander zugehen. Ich glaube, er hat Recht.

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