Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Föderalismusdämmerung

Föderalismusdämmerung

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Die längste Zeit dachte ich, Österreichs absurder Föderalismus auf ganzen 84.000 Quadratkilometern – ­einem Landstrich von der Größe Andalusiens – sei in Stein gemeißelt: ein Geburtsfehler, mit dem man sich abfinden müsse, wie mit einem Buckel oder einem zu kurzen Bein. Denn nicht nur würden ihn die Landesfürsten und ihr ­Gefolge aus naheliegenden Gründen mit Zähnen und Klauen verteidigen, sondern auch die Bevölkerung würde nie von der Überzeugung lassen, dass jedes Bundesland seine eigenen Gesetze braucht.

Dass ein Tiroler Kärntner Gesetze für ähnlich gut wie Tiroler Gesetze halten könnte, schien mir so unwahrscheinlich wie die positive Einstellung eines Steirers zu Salzburger Gesetzen. Und dass ein Vorarlberger die Gesetze seines Bundeslandes Wiener Gesetzen nicht für hundertfach überlegen hielte, hielt ich für denkunmöglich.

Eine Meinungsumfrage, die Fessel GfK 2005 im Auftrag der „Wiener Zeitung“ durchführte, bestätigte diese Sicht: Die aktuelle föderale Aufgabenteilung wurde nicht nur rundum bejaht, sondern 62 Prozent der Österreicher wollten die Kompetenzen der Bundesländer sogar noch ausgeweitet wissen.

„Die Österreicher wollen starke Bundesländer“, überschrieb die „Wiener Zeitung“ den zugehörigen Bericht.

Aber im Gegensatz zu meiner Überzeugung von der Unabänderlichkeit dieser Haltung hat die Bevölkerung offenbar doch aus jahrelanger Erfahrung gelernt: In der jüngsten Umfrage des Linzer Market-Institutes für den „Standard“ fänden es 65 Prozent der Befragten „sehr gut“, wenn in Österreich einheitliche Gesetze Geltung hätten; 42 Prozent finden es „sehr gut“ (21 Prozent immer noch „gut“), wenn man folgerichtig die Landesregierungen abschaffte.

„Zwei Drittel lehnen den Föderalismus ab“, überschreibt der „Standard“ den zugehörigen Bericht.

Obwohl die Umfragen nicht wirklich vergleichbar sind und die Art der Fragestellung zweifellos Einfluss auf das Resultat hatte, steht doch außer Zweifel: Österreichs Föderalismus-Glaube ist brüchig geworden.
Die gravierendsten Absurditäten sind offensichtlich doch ins Bewusstsein der Menschen gerückt: Sündteure Schwerpunktspitäler wurden Rücken an Rücken errichtet, weil jedes Bundesland sein eigenes haben wollte. Bau- oder Installationsunternehmen haben Probleme, wenn sie Aufträge in einem anderen Bundesland durchführen, weil die Bau- und Sicherheitsnormen überall unterschiedlich sind. Die Übersiedlung von einem Bundesland ins andere genügt, um prügelnde Eltern der Aufsicht der Fürsorge entkommen zu lassen.

Aktuelle Beispiele aus meiner näheren Umgebung: An der Peripherie Wiens könnte es längst Dutzende Park-and-ride-Garagen geben, in denen Niederösterreicher oder Burgenländer bei Wien-Besuchen ihre Autos abstellen, wenn deren Finanzierung nicht zwischen den beteiligten Bundeländern stecken bliebe. Die U-Bahn reichte längst bis zur Shopping City Süd, wenn Wien nicht vermeiden wollte, dass das niederösterreichische Vösendorf noch mehr Kaufkraft aus Wien abzieht.

Der aktuelle Föderalismus ist ebenso kostspielig, wie er kontraproduktiv ist. In Zeiten, in denen von der Bevölkerung „Sparen“ verlangt wird, ist ihr das aufgefallen.

Die Landesfürsten können diese Bewusstseinsveränderung wahrscheinlich noch durch etliche Jahre negieren. Herbert Lackner hat erst kürzlich auf Barbara Tuchman verwiesen, die „die Torheit der Regierenden“ für eine ­historische Gesetzmäßigkeit hält: Erstaunlich häufig handeln sie genau so, dass es sie letztlich ihre Stellung kosten muss. Österreichs Landesfürsten können so lange auf dem aktuellen Föderalismus beharren, bis eine Volksabstimmung (oder eine weitere Pleite vom Format Kärntens) das Landesfürstentum hinwegfegt.

Aber vielleicht sind doch auch sie lernfähig: Dann setzen sie sich in den nächsten Wochen auch ohne gesonderte Aufforderung durch den Bund zusammen und beschließen von sich aus die Angleichung ihrer Bau-, Sicherheits-, Jugendschutz- oder Jagd-Gesetze; dann einigen sich zumindest angrenzende Bundesländer von sich aus und über Parteigrenzen hinweg über den Ausbau von Verkehrseinrichtungen oder Großspitälern.
Es könnte ja ausnahmsweise der Ehrgeiz der „Länder“ sein, den „Bund“ – und die Bevölkerung – mit solchen Vereinheitlichungen und Vereinbarungen positiv zu überraschen. Und es nähme den Kritikern viel Wind aus den Segeln.

Wenn schon nicht staatsmännisches Verantwortungsgefühl – das ich ihnen aber keineswegs von vornherein absprechen will –, dann sollte zumindest der Selbsterhaltungstrieb die Landesfürsten zu diesem Verhalten bewegen.

PS: So kontraproduktiv es ist, wenn sich die Bundesländer in ihren Wohnbau- oder Jugendschutzgesetzen unterscheiden, so sinnvoll ist ihr kultureller Wettstreit. Wenn Sie Johann Nestroy weit besser als von Matthias Hartmann in Wien oder Salzburg inszeniert sehen wollen, dann sehen Sie sich Peter Grubers Inszenierung von „Krähwinkel“ als „Freiheits-Event“ im niederösterreichischen Schwechat an. Ich habe in den mehr als 60 Jahren, die ich ins Theater gehe, keine ähnlich brillante Aktualisierung eines Nestroy-Textes gesehen.

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