Peter Michael Lingens: Die Folgen der Geldschwemme

Mehr Wachstum bei schlechterer Verteilung. Die USA leiten die Zinswende ein. Die sparende EU hinkt nach.

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Wenn nicht noch etwas Dramatisches passiert – die Arbeitslosenrate plötzlich hochschnellt –, trägt sich Anfang nächster Woche in den USA ein Ereignis zu, das die Ökonomen ähnlich gespannt verfolgen werden wie Raumfahrtexperten das Andocken einer Raumfähre: Janet ­Yellen, die Präsidentin der US-Notenbank FED, wird den US-Leitzins nach Jahren, in denen er zwischen 0,0 und 0,25 Prozent pendelte, um den vermutlich kleinsten möglichen Schritt auf definitiv 0,25 Prozent anheben. Die USA leiten die „Zinswende“ ein.

Die „Presse“, die diese Wende am 5. August noch „echt“ nannte und „Gefahren“ sah, reduzierte sie am 8. August zur „Alibi-Aktion“, weil die Zinserhöhung „längst in den (Aktien-)Kursen enthalten“ sei. Nur spricht die Problemlosigkeit, die sie diesem Vorgang damit attestiert, nicht minder für die Qualität der US-Geldpolitik. Und die anerkennen „Presse“ oder „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ), Agenda Austria oder Christian Ortners „Organ des Neoliberalismus“ nur höchst ungern: Haben sie doch einvernehmlich gepredigt, dass die „Geldschwemme“, die die FED in den USA und die EZB in der Eurozone im Sinne Keynes erzeugten, zu nichts als Problemen führen würde.

Anfangs sahen sie die Inflation explodieren: Die Preise würden „durch die Decke schießen“, behauptete etwa der damalige Leiter des „Presse“-Wirtschaftsressorts Franz Schellhorn, der heute die Agenda Austria führt. Als die Inflation genau umgekehrt immer niedriger wurde, begann Christian Ortner „Inflation“ neu zu definieren: Waren würden zwar nicht teurer, aber „wirkliche Werte“ – er nannte mir Aktien, Gold, Immobilien, Nahrungsmittel – sehr wohl. Die „Presse“ entdeckte die „gefühlte Inflation“ zulasten der Hausfrauen.

Doch die Preise für Nahrungsmittel stiegen in Österreich zwischen 2008 und 2014 trotz „Geldschwemme“ nicht stärker als zwischen 2000 und 2007 (Statista.de; alle anderen Daten: Eurostat.). Der Goldpreis fiel massiv. Im „Süden“ der Eurozone taten das auch die Immobilienpreise, stiegen aber stark in den Stadtzentren Österreichs und Deutschlands – allerdings, nachdem sie dort in den vergangenen zehn Jahren deutlich zurückgeblieben waren. (In Stadtzentren ist der Preisanstieg bei vergrößerter Geldmenge in der Tat unvermeidlich, weil sich Baugrund dort nicht vermehren lässt.)

Die einzige auffällige Preissteigerung gibt es – erwartungsgemäß – bei Aktien: So ist das Kurs-Gewinn-Verhältnis der DAX-Werte seit seinem Tief im Jahr 2009 von acht auf 15 gestiegen. Allerdings liegt das durchschnittliche KGV des DAX seit seiner Gründung 1988 nur minimal darunter, bei 14,8 – und ist Anfang 2000 bei 30 gelegen.

Die USA verdanken ihre Erholung weit weniger dem billigen Geld als den erhöhten Rüstungsausgaben.

Es ist also nicht ganz leicht, zu argumentieren, dass die lockere Geldpolitik von FED und EZB gefährlichste Folgen hätte. Vielmehr gewinnen die Argumente an Gewicht, mit denen sie sie einführten: Höhere Aktienkurse und billiges Geld erleichtern Investitionen und Käufe. Musste ein Spitzenunternehmen wie BASF vor der „Geldschwemme“ noch 5,1 Prozent für Kredite bezahlen, so begibt Daimler seine jüngste Anleihe zu 0,5 Prozent. Kaum minder erheblich verbilligten sich Kredite ratenzahlender Konsumenten.

Beides, so belegen die USA, befördert in Krisenzeiten die Wirtschaft.

Also betonen „Presse“ oder „FAZ“ nun die Probleme der „Zinswende“. Dass sie Risiken birgt, ist natürlich auch Janet Yellen und Mario Draghi klar: Alan Greenspan, der in meinen Augen unfähigste FED-Präsident der jüngeren Geschichte, trug entscheidend zum Ausbruch der aktuellen Krise bei, indem er die Zinsen zuerst aus Angst um den Aktienmarkt dramatisch senkte, um sie dann aus Angst um den Dollar auf einen Schlag dramatisch anzuheben. Das musste Menschen, die Kredite für Aktien- oder Immobilien-Käufe zu niedrigsten Zinsen aufgenommen und dann zu hohen rückzuzahlen hatten, in Katastrophen stürzen. Daher Yellens extreme Vorsicht bei der Zinserhöhung.

Allerdings glaube ich, dass die USA ihre Erholung weit weniger dem billigen Geld als den um 20 Prozent erhöhten Rüstungsausgaben verdanken – so wie die EU ihre trotz des billigen Geldes schleppende Erholung dem Sparen des Staates verdankt.

Denn während billiges Geld nur bessere Voraussetzungen für Investitionen schafft, kann der Staat direkt investieren: Selbst dumme Rüstungsinvestitionen schaffen unmittelbar Arbeitplätze und Folgeaufträge.

Zwar besteht die Gefahr, dass der Staat an falschen Stellen investiert, aber die besteht beim billigen Geld genauso: Statt in ihre Produktion zu investieren, benutzen es Unternehmen zum Beispiel des Öfteren für sinnlose Zukäufe, die nur „Provisionsbeziehern“ nützen. Investitionen des Staates in Bildung, Forschung, Gesundheit, Umwelt und so weiter sind extremer Verbilligung des Geldes daher meines Erachtens immer vorzuziehen. Zudem zerstören sie die „Verteilungsgerechtigkeit“ weit weniger. Denn billiges Geld lässt als Erstes und am meisten die Aktienkurse steigen: von 3600 Punkten ist der DAX seit 2009 auf 11.000 gestiegen. Entsprechend kräftig hat jene kleine Schicht verdient, die sich in Europa Aktien leistet: sieben Prozent der Deutschen und drei Prozent der Österreicher.