Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Für Vorschulen „und“ ­Kindergärten

Für Vorschulen „und“ ­Kindergärten

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Hoffentlich sind die „Experten“ nicht so lange uneins, dass weitere zehn Jahre nichts geschieht. Einem Laien wie mir, der seine Schulerfahrung nur sechs Kindern, darunter zwei Volksschullehrerinnen (und nebenher dem Verlag der größten Schulzeitschrift des Landes), verdankt, erschien die Initiative der Präsidentin des Wiener Stadtschulrats, Susanne Brandsteidl, höchst vernünftig: Bekanntlich will sie die Direktoren der Wiener Volksschulen anweisen, Kinder nur dann als „schulreif“ zu befinden, wenn sie der deutschen Sprache mächtig sind. Wenn nicht, sollen sie diese in Vorschulklassen erlernen.

Ebenso vernünftig erschien mir die Forderung von Staatssekretär Sebastian Kurz, die Initiative Brandsteidls auf ganz Österreich auszudehnen und durch ein neues Pflichtschulgesetz abzusichern. Denn im geltenden heißt es zwar, dass „Schulreife“ nur gegeben ist, „wenn ein Kind dem Unterricht in der 1. Schulstufe zu folgen vermag, ohne körperlich oder geistig überfordert zu werden“, aber das reicht nur scheinbar als gesetzliche Grundlage eines Vorschulerlasses aus: Kindern, die nicht Deutsch können, fehlte es nämlich nur selten an der nötigen „geistigen und körperlichen Reife“ es zu erlernen – wohl aber sehr häufig an der faktischen Möglichkeit. (Die noch so begabten Kinder türkischer Zuwanderer ohne Schulabschluss können schwerlich gut Deutsch.)

Ich würde vermuten, dass Höchstrichter aus dem Pflichtschulgesetz sogar ableiten müssten, dass Österreich verpflichtet ist, diesen Kindern diese Möglichkeit zu eröffnen – zum Beispiel in Form einer Vorschulklasse. Sinnvollerweise mittels eines Gesetzes, das dem Direktor jedenfalls erlaubt, den Besuch einer Vorschulklasse zu fordern, ihm aber die Möglichkeit offenlässt, ein Kind trotz mangelnder Deutschkenntnisse in die erste Klasse aufzunehmen, wenn die Umstände erwarten lassen, dass es sie dort erwirbt.

In der ersten Klasse, die die Tochter meiner Frau kürzlich in Wien-Margareten unterrichtete, wäre das eher schwierig gewesen: Zwei deutschsprachige Kinder saßen dort neben 28 Kindern, die fast kein Wort Deutsch konnten. Ähnliches beobachtete meine Tochter als Sonderschullehrerin in Wien-Penzing und hält die Brandsteidl-Kurz-Initiative daher für einen „Riesenfortschritt“. Aber die beiden sind natürlich keine Expertinnen. Über solche verfügen offenbar die Grünen, die Vorschulklassen als „Ghetto-Klassen“ ablehnen. Ich wüsste von ihnen gerne, wie sie die Klasse mit den 28 nicht deutschsprachigen Kindern nennen? Und möchte sie bitten, sich einmal mit dem Ghetto der beiden darin verlorenen deutschsprachigen Kinder zu befassen.
Ihre Behauptung, es sei „wissenschaftlich erwiesen“, dass Vorschulklassen „mehr schaden als nutzen“, schien mir durch den Migrationsexperten Kenan Güngör im „Standard“ hinlänglich widerlegt („ich sehe keine Diskriminierung“), als zwei Sprach-Experten der Universität Wien – Hans-Jürgen Krumm und Rudolf de Cillia – in der gleichen Zeitung dringend vor „Diskriminierung“ durch Vorschulklassen warnten. Was nun?

Unterrichtsministerin Claudia Schmied hatte das Vorschulmodell ihrer Parteifreundin Brandsteidl zuerst rundweg als „medialen“ Kurz-Schluss abgelehnt, um es tags darauf für ganz Österreich zu empfehlen. Freilich eingebunden in ein „Gesamtkonzept“, das es nach zehn Jahren PISA-Misere immer noch nicht gibt. Spracherziehung, so ihre wie Krumms und de Cillias Forderung, der Güngör sich zweifellos anschlösse, müsse bereits im Kindergarten beginnen. No na.

Gespräche mit Kindergärtnerinnen hätten das seit eh und je ergeben, und es ist ausnahmsweise tatsächlich „wissenschaftlich erwiesen“: Etwa ab dem 13. Monat entwickelt sich die Sprachkompetenz des Kindes – es saugt die gehörte Sprache in den folgenden zwei Jahren wie ein Schwamm in sich auf, um sie wiederzugeben. Auch zwei Sprachen werden in diesem Alter erstaunlich leicht erlernt – zum Beispiel Serbisch zu Hause und Deutsch im Kindergarten. Der Kindergarten hat dabei den Vorzug, dass Kinder mit anderen Kindern noch intensiver interagieren als nur mit den Eltern.
Entgegen den Vorstellungen mancher katholisch indoktrinierter VP-Kreise sind es daher nicht „schlechte“ Mütter (Eltern), die ihre Kinder in den Kindergarten geben, um sich angeblich deren Betreuung zu ersparen, sondern engagierte Eltern, die mit dem Besuch des Kindergartens die soziale und sprachliche Leistungsfähigkeit ihrer Kinder fördern wollen.
Wenn es gelänge, alle Kinder von Zuwanderern in Kindergärten unterzubringen, in denen sie von ordentlich bezahlten, qualifizierten KindergärtnerInnen Deutsch lernen, könnten wir Vorschulklassen tatsächlich für andere Zwecke nutzen. Aber erst dann – vorerst brauchen wir beides.

Das Ergebnis einer Untersuchung der Bertelsmann-Stiftung klärt immerhin den Vorrang: Der Besuch eines Kindergartens erhöht die Wahrscheinlichkeit einer gymnasialen Ausbildung bei Eltern mit Hauptschulabschluss um 85, bei Migranten um 56 Prozent. Titel der Untersuchung: „Vom volkswirtschaftlichen Nutzen der Krippenerziehung“.

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