Peter Michael Lingens: Griechenland für vorsichtige Pessimisten

Peter Michael Lingens: Griechenland für vorsichtige Pessimisten

Dem griechischen Grundübel ist durch Geld kaum beizukommen.

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Die jüngste Entwicklung in Griechenland gibt Anlass zu vorsichtigem Pessimismus: Wahrscheinlich steht es schon demnächst wieder vor gravierenden Problemen – aber es muss nicht ganz sicher so sein.

Mein Pessimismus beruht auf meiner Sicht des Grundübels Griechenlands: Das Volk mag den Staat nicht – daher betrügen die beiden einander. Die landläufige Sicht des griechischen Problems – dass seine Wirtschaft zu schwach für den Euro und seine Bevölkerung zu „faul“ für eine „Leistungsgesellschaft“ sei – halte ich dagegen für so „deutsch“ wie unbegründet: Die Griechen haben eine der längsten Arbeitszeiten Europas; ihre Pro-Kopf-Wertschöpfung ist zwar nur halb so groß wie die eines Deutschen – aber die Wertschöpfung eines Einwohners von Mississippi ist auch nur halb so groß wie die eines Kaliforniers, ohne dass Mississippi deshalb aus dem Dollarraum ausscheiden müsste.

Allerdings funktionieren in Mississippi Grundbuch, Verwaltung, Gerichte oder Finanzbehörden, und die Bevölkerung weiß, dass ein Staat Steuern braucht. Das sind die Grundvoraussetzungen, die Griechenland fehlen.

Zwischen 1991 und 2008 flossen aus den Strukturfonds der EU 133 Mrd. Euro an Griechenland.

Das ist seit 60 Jahren so – dennoch fließt seit 60 Jahren viel Geld nach Griechenland: zu Beginn vornämlich aus Großbritannien, um zu vermeiden, dass es kommunistisch wird. Dann aus den USA, die sogar eine Militärjunta etablieren, um die Ostflanke der NATO zu stärken. All dieses Geld versickert in Rüstungsausgaben und der angeflanschten Mega-Korruption. An der unterentwickelten Wirtschaft oder am unterentwickelten Staat ändert sich nichts. Auch nicht durch das Geld der EU: Zwischen 1991 und 2008 – also lange, bevor es durch „Hilfsprogramme“ vor dem Bankrott „gerettet“ werden musste – flossen aus Strukturfonds (von denen etwa auch das Burgenland profitierte) inflationsbereinigt 133 Mrd. Euro an Griechenland. Doch weder hat davon die Struktur der griechischen Wirtschaft profitiert, noch hat sich die Struktur des Staates verbessert.

Dass es den Griechen im Euro deutlich besser ging, war bekanntlich ein Artefakt: Verantwortungslose Banken überließen den Bürgern wie dem Staat verbilligte Kredite, die diese verantwortungslos in Anspruch nahmen. Es kam zu weit überhöhten Löhnen bei dramatisch verringerter Wettbewerbsfähigkeit – das Musterbeispiel einer Lohn-Rallye, die statt auf erhöhter Wirtschaftskraft auf erhöhter Verschuldung beruht. Daraus resultiert ein trotz Lohnkürzungen noch immer aktuelles Lohnproblem: Die Griechen müssen damit fertigwerden, dass ihre Löhne auf das Vor-­Euro-Niveau zurückfallen, wenn sie wieder wettbewerbsfähig sein wollen. Das ist viel schmerzhafter, als wenn sie nie ein so hohes Lohnniveau erlebt hätten. Und es ist extrem schmerzhaft, weil die Einkommensverteilung sich verschlechtert hat: Reiche haben selbst in den letzten Jahren kräftig verdient, der Mittelstand hat verloren, und die Armen sind unter die Räder gekommen. So kommt es, dass in Griechenland derzeit bestürzende Armut sichtbar ist, obwohl das kaufkraftbereinigte BIP pro Kopf 2014 immer noch höher als vor der Einführung des Euro war. Aber der griechische Staat hat kein Sozialsystem, um Fehlverteilung wenigstens abzufedern.

Jetzt bekommt Griechenland also neue Milliarden, und die sind zu Recht mit Auflagen verbunden, die nicht zuletzt die staatlichen Strukturen betreffen: man soll ein Grundbuch schaffen, das Pensionssystem reformieren, Staatsbetriebe privatisieren und endlich auch Steuern von den Reichen einheben. Alle diese Forderungen sind im Euro-Raum so berechtigt wie sie es beim Umstieg auf die Drachme wären. Nur dass auch sie bereits seit Jahren erhoben werden, ohne dass man sie im Geringsten erfüllt hätte.

Vorsichtig bin ich in meinem fortgesetzten Pessimismus nur deshalb, weil ich die leise Chance sehe, dass die vielgeschmähte Syriza den Staat doch etwas eher reformiert als die konservative Nea Dimokratia (ND), die sie abgelöst hat. Ihre linken Funktionäre wollen Reiche zumindest im Prinzip besteuern und lehnen Korruption zumindest theoretisch ab. Erstmals riskiert auch keine andere Partei, dem zu widersprechen. Ja, wie es aussieht, könnte die Syriza sogar konstruktiv mit der Nea Dimokratia zusammenarbeiten, was vor allem deshalb so wünschenswert wäre, weil deren wirtschaftliche Weltsicht zumindest theoretisch erfolgversprechender ist. Praktisch angeführt wird die ND allerdings von Vangelis Meimarakis, der als Verteidigungsminister unter Kosta Karamanlis für ebenso riesige wie zwielichtige Rüstungsgeschäfte verantwortlich war.

Aber vielleicht begreifen Männer wie er, dass sie mittlerweile auf einem Pulverfass sitzen.

Bleiben als letzte Gründe für meinen vorsichtigen Pessimismus die von der EU durchgesetzten finanziellen Bedingungen: Ich glaube nach wie vor (und im Einklang mit dem IWF), dass ein weiterer Schuldenschnitt samt Schulden-Restrukturierung weit erfolgreicher wäre, als dem Land neues Geld zu borgen, das es weit mehr als für Investitionen für die Rückzahlung alter Schulden verwenden muss.