Peter Michael Lingens: Der schwäbische Hausherr

Peter Michael Lingens: Der schwäbische Hausherr

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Erstmals ist Wolfgang Schäuble in Deutschland beliebter als selbst Angela Merkel. In Griechenland wird er unverändert als Blutsauger dargestellt; in Frankreich wirft man ihm Wirtschaftsfaschismus vor; in den USA unterstellen ihm Paul Krugman und Joseph Stiglitz „mangelnde Solidarität mit Europa“. Nichts davon stimmt: Wie Merkel ist Schäuble solidarisch, paneuropäisch und ein Demokrat. Es ist von besonderer Tragik, dass er dennoch eine Wirtschaftspolitik vertritt, die Europa der Gefahr politischer Katastrophen aussetzt. Ich habe diese Wirtschaftspolitik in der vorigen profil-Ausgabe in nackten Ziffern der Politik der USA gegenübergestellt:

- Die Staatsschuldenquote hat sich in den USA seit 2009 (dem Höhepunkt der Krise) von 86 auf 104 Prozent erhöht – aber in der Eurozone kaum minder von 80 auf 95 Prozent.

- Das reale (die Kaufkraft berücksichtigende) BIP pro Person liegt in der Eurozone zu Ende 2014 noch immer um 900 Euro unter Vorkrisen-Niveau. In den USA liegt es um 1300 Euro darüber.

- Die Arbeitslosigkeit ist in der EU von zehn Prozent im Jahr 2009 auf heute 11,2 Prozent gestiegen. In den USA von 10,2 auf 5,6 Prozent gesunken.

Wie kommt es, dass Schäuble – und mit ihm die laute Mehrheit deutscher Ökonomen und die meisten Medien – trotz der katastrophalen politischen Folgen hoher Arbeitslosigkeit am Sparen des Staates festhält? Erstens, weil Schäuble meint, dass es Europa dank dieser Politik bald blendend gehen wird, da es Deutschland doch jetzt schon blendend geht: Dort – aber nur dort – sind Arbeitslosigkeit und Schuldenquote im Gegensatz zum Rest Europas gesunken, und das reale BIP liegt über Vorkrisenniveau.

Nur keineswegs dank Austerity, sondern weil Deutschland allfälligen Minderabsatz in der EU durch Mehrabsatz in den USA oder China kompensieren kann, da seine Güter dank 15 Jahren Lohnzurückhaltung nicht nur technologisch, sondern auch kostenmäßig konkurrenzlos sind.

Dieselbe Lohnzurückhaltung hat freilich dazu geführt, dass Deutschlands Kaufkraft bis zu den jüngsten Lohnerhöhungen weit hinter seiner Produktivität zurückgeblieben ist, sodass der Warenabsatz anderer EU-Staaten auf dem deutschen Markt entsprechend zurückbleiben musste.

Zweitens hat Wolfgang Schäuble wirklich jenes besondere Verhältnis zu „Schulden“ und „Sparen“, das ein billiges Klischee Schwaben unterstellt: Für nicht-deutsche Ökonomen sind „Staatsschulden“ Anleihen, denen nicht nur das BIP des Staates, sondern auch dessen Vermögen gegenübersteht: Verkehrswege, Kraftwerke, Kanalisation, funktionierende Ämter, Gerichte, Universitäten usw. (Das heißt nicht, dass ihnen Staatsschulden gleichgültig wären – aber sie messen ihnen unter den vielen Daten, die eine Wirtschaft kennzeichnen, keine derart überragende negative Bedeutung zu.) Schwaben hingegen sehen die „Schuld“ des Staates als schlimmstes aller Übel an, ist es doch in ihren Augen fast immer durch die schlimmste aller Sünden verursacht: mangelnde Sparsamkeit.

Wenn die berühmte schwäbische Hausfrau wegen eines üppigen Festes zu viel Geld ausgegeben hat, spart sie es gottgefällig bei den folgenden Einkäufen ein. Wenn ein schwäbisches Unternehmen Verluste schreibt – was Gott sei Dank kaum vorkommt – spart es schmerzhaft, indem es Filialen schließt. In beiden Fällen hat dieses punktuelle Sparen keinen negativen Einfluss auf die Gesamtwirtschaft – meist wird es anderswo sowieso durch punktuelle Mehrausgaben kompensiert.

Wenn allerdings sehr viele Hausfrauen weniger einkauften und sehr viele Unternehmen Filialen schlössen, wäre man mitten in einer Rezession. Das Gleiche muss passieren, wenn ein so großer Player wie der Staat weniger ausgibt und das nicht durch Mehrausgaben von Bürgern und Unternehmen kompensiert wird.Das ist nicht Keynes, sondern Mathematik.

„Man muss wirklich kein Erz-Keynesianer sein, um Sparen mitten in einer Rezession für keine gute Idee zu halten“, erläuterte Rüdiger Buchmann, der in Frankreich lehrende deutsche Ökonom erfolglos der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Das sehen nicht nur Krugman und Stiglitz so.“

Noch bis etwa 1980 war es selbstverständlich, dass Finanzminister bei Krisen gemäß den Lehren von John M. Keynes agierten: Sie steckten Steuergeld in Infrastruktur-Aufträge, um den Wirtschaftsmotor wieder in Schwung zu bringen – und im Großen und Ganzen funktionierte das auch. Bis „Japan“ passierte: Obwohl dort Abermillionen in Staatsaufträge flossen, sprang das Wachstum nicht an, sondern es stiegen bloß die Staatsschulden. Seit etwa 1990 gilt Keynes neoliberalen Ökonomen daher als widerlegt.

Ich halte das für zumindest voreilig: Auch der New Deal bewirkte in den USA durch Jahre kaum Wirtschaftswachstum – bis die gigantischen Rüstungsausgaben für den Zweiten Weltkrieg es explodieren ließen. Vielleicht waren die Staatsausgaben in Japan also nur nicht genügend groß.

Mit Sicherheit falsch ist aber der schwäbische Umkehrschluss: dass der Staat in Krisen sparen sollte. In den Worten des bürgerlichen Ökonomen Erich Streissler: „Darin ist Keynes recht zu geben: In Krisen darf der Staat nicht sparen.“