Peter Michael Lingens

Peter Michael Lingens Jenseits von Kokain

Jenseits von Kokain

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Seit ich es kenne, tut mir Kolumbien leid, wenn es hier­zulande – wie auch von mir vor drei Wochen – fast nur im Zusammenhang mit Kokain, Kriminalität oder der FARC ­erwähnt wird. Denn es ist ein prachtvolles Land, hat unglaubliches wirtschaftliches Potenzial und wird demnächst kaum anders als Brasilien boomen.

Als Außenminister Michael Spindelegger von profil gefragt wurde, ob man in Südamerika nicht Botschaften einsparen könnte, hat er zu Recht energisch verneint: Die Chancen für österreichische Unternehmen, in Südamerika Märkte zu ­erschließen, sind kaum geringer als in Asien – sie sind nur nicht im gleichen Ausmaß „in“. Und gerade Kolumbien ist des Kokains und Drogen­kriegs wegen besonders „out“.

Aber wie so oft hinken die Informationen der Realität um zehn Jahre nach. Der Drogenhandel blüht zwar weiter (ich habe in profil 36/2010 versucht zu erklären, warum), aber im Drogenkrieg herrscht weitgehend Waffenruhe. Die Kriminalität in Cali oder Bogotá ist zwar immer noch höher als in Buenos Aires oder Lima, aber nicht unerträglich: ­Natürlich gibt es in einer Acht-Millionen-Stadt Teile, die man tunlichst meidet – aber das gilt auch für manche Vororte von Paris. Man geht als Ausländer – und damit potenzieller „Reicher“ – nachts besser nicht durch einsame Gassen, sonst kann es einem, wie einer Bekannten, passieren, dass man mit einem Messer um ein Trinkgeld gebeten wird – aber das ist meinem Sohn auch in Prag passiert. Und man bekommt den Rat, ­Taxis nie auf der Straße anzuhalten, sondern immer bei der Taxizentrale zu bestellen, um nicht bei einem potenziellen Entführer zuzusteigen.

Als ich in einem Restaurant von der Zentrale kein Taxi erhielt und doch eines anhalten wollte, notierte die Gastwirtin besorgt die Autonummer und teilte das dem Fahrer auch noch ausdrücklich mit. Aber eine hinreißende Neunundachtzigjährige – eine jüdische Emigrantin aus Wien, die bis heute Bogotás führende Buchhandlung betreibt – erklärte mir lachend, sie halte Taxis trotz ihres funkelnden Goldarmbands selbstverständlich auf der Straße an. Die Kolumbianer hätten nur besondere Angst um ihre seltenen ausländischen Gäste. Ich bin jedenfalls in keinem Land je so herzlich umsorgt worden.

Warum glaube ich, dass Kolumbien demnächst boomen wird? Weil es unglaublich fruchtbar und reich an ­Bodenschätzen ist: Zur traditionellen Kohle, zu Gold und Uran ist neuerdings das für elektronische Geräte unverzichtbare Coltan getreten, das sonst nur im Kongo vorkommt. Doch während Coltan vorerst noch Probleme bereitet, weil es vor allem in Rückzugsgebieten der FARC gefunden wird, bieten die ebenfalls neu entdeckten Erdölvorkommen nur ­positive Überraschungen: Die Ergiebigkeit des bisher ­größten Felds hat sich soeben als zehnmal so groß wie erwartet ­herausgestellt.

Vor allem aber sind die Kolumbianer gut ausgebildet: Das Land hat zahlreiche Universitäten, die Anden-Universität in Bogotá zählt zu den besten der Welt – um Längen vor der Uni Wien. (Ein Wiener Architekturprofessor nutzt das und hat für seine Studenten ein Austauschprogramm eingerichtet.) Auch die zahlreichen privaten Schulen sind erstklassig, und das öffentliche Schulwesen ist zumindest nicht desolat.

Die meisten dieser Vorzüge hatte das Land schon immer, aber der Drogenkrieg und der Krieg mit der FARC haben sie verdeckt. Die abgetretene Regierung Uribe hat acht Jahre ­gebraucht, die Drogenkartelle zum Waffenstillstand zu ­bewegen und die FARC ins Grenzgebiet abzudrängen. Aber jetzt ist sie nur mehr dort, und die betroffenen Landstriche gehen einem kaum ab – immerhin ist Kolumbien dreimal so groß wie Deutschland.

Weil Alvaro Uribe Venezuelas spätleninistischem Präsidenten Hugo Chavez zuletzt vorwarf, er unterstütze die FARC, hielten sogar ernsthafte Medien einen Krieg Kolumbiens mit Venezuela für möglich, aber ich lag mit der Vermutung richtig, dass Uribes Nachfolger Juan Manuel Santos sich rasch mit Chavez arrangieren würde: Er ist ein kühler Geschäftsmann und will den eingefrorenen Handel mit dem launischen linken Nachbarn wieder in Schwung bringen.

Schon zeigen Fotos die beiden lachend beim Hände­schütteln. Santos will nichts als Wirtschaftswachstum: Ein riesiges Straßenbauprogramm ist beschlossen; Eisenbahnlinien sind geplant; die Mega-Städte sollen durchwegs U-Bahnen erhalten. Es gibt einheimisches und ausländisches Geld. China will sich samt Dollars am Straßen- wie am U-Bahn-Bau beteiligen. Spaniens Großbanken verdienen hier ihr Geld, japanische, deutsche, französische Großunternehmen sind präsent.

Warum glaube ich, dass österreichische Unternehmen besonders große Chancen hätten? Weil Kolumbien wie Österreich ein Bergland ist: Derzeit sind 14 Wasserkraftwerke in Planung; für den Straßenbau braucht man Tunnelbau-, Brückenbau- und Roadpricing-Know-how. Auf den Bergen werden Lifte errichtet – nicht um Skifahrer, aber um Einwohner zu transportieren, denn die Städte wachsen die Hänge ­hinauf. Der Fremdenverkehr wird zunehmen.

Tatsächlich sind einige der gewohnten Paradeunternehmen schon vor Ort: Zotter kauft Kakao; Doppelmayr bietet Lifte an; Andritz will Kraftwerke bauen; Rosenbauer hat bereits Feuerwehrautos verkauft, es gibt einen ungemein rührigen österreichischen Botschafter, der sich dieser Klientel herzlich annimmt – ich glaube, dass sie weiter wachsen sollte.

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